Mittwoch, 22. Oktober 2008

Kinderkonsum von Pornographie: Fragen an Eberhard Ritz

Interviewfragen von Mathias von Gersdorff, Leiter der Aktion Kinder in Gefahr der DVCK e.V

1) In welchem Maße konsumieren Kinder schon harte Pornographie? Gibt es Statistiken über Alte, soziale Herkunft und Ausmaß des Konsums?

Über das Ausmaß des tatsächlich vorhandenen Konsums von Pornographie unter Kindern und Jugendlichen können wir nur spekulieren. Grundsätzlich können wir jedoch davon ausgehen, dass die Beschäftigung mit Pornographie im Kindes- und im Jugendalter quer durch alle sozialen Schichten zugenommen hat. Eine signifikante Steigerung ist jedoch bei Menschen aus sozialen Randgruppen (besonders in sozialen Brennpunkten) erkennbar.

Im Allgemeinen geht man heute davon aus, das etwa 200.000 Menschen (Erwachsene, Kinder und Jugendliche. Die Schätzung in verschiedenen Statistiken liegen zwischen 200.000 und 500.000 Menschen) sind internetsexsüchtig.

2) Wie wirkt sich dieser Konsum auf das seelische und emotionale Leben der Kinder aus? Werden Fähigkeiten wie beispielsweise die Sprache davon beeinflusst?

Der ständige Konsum von Pornographie hat ziemlich verheerende Auswirkungen auf die physische und psychische Entwicklung des Heranwachsenden. Aufgrund der bisherigen Erkenntnisse gehe ich davon aus, dass wir in den kommenden Jahren mit einer starken Zunahme von psychischen Erkrankungen und einem wachsenden Bedarf an qualifizierter Beratung und Begleitung von Menschen mit „sexuellen Verhaltensauffälligkeiten und Störungen“ zu rechnen haben.

Im Einzelnen beeinflusst die Zunahme an „Pornographiekonsum“ sehr stark das Innere (die Seele) des einzelnen Menschen. Die Erfahrungen, Erlebnisse und Gedanken brennen sich wie bei einer DVD in der Seele des Menschen ein. Das Erlebte und Erfahrene wird als völlig normal angesehen und beeinflusst die gegenwärtige und auch die zukünftige Verhaltens- und Denkweise. Eine Umprogrammierung, bzw. Löschung der Verhaltensmuster wird schwer, bzw. fast unmöglich gemacht. Die in der Seele eingebrannten Bilder, z. b. von Darstellungen des sexuellen Missbrauchs und anderer Sexpraktiken werden als normal angesehen und in die real existierenden Beziehungen übernommen und angewandt. Aufgrund dieser Entwicklung gehe ich davon aus, dass es in Zukunft zu einer Anhäufung von Beziehungsstörungen und „sexuell motivierten Straftaten“ kommen wird.

Sabine Nowara, eine Kölner Kriminalpsychologin, hat in dem vom Stern abgedruckten Artikel zum Thema „Sexuelle Verwahrlosung“ (Ausgabe Nr. 6 vom 01.02.2007), folgendes geschrieben: einem Forschungsprojekt die Behandlung von mehr als 300 minderjährigen Sexualstraftätern ausgewertet. "Die Gefahr, die in der sexuellen Enthemmung von Kindern und Jugendlichen steckt, ist wirklich besorgniserregend. Und sie wird massiv unterschätzt„.

Darüber hinaus nehmen wir, in unserer Weisses Kreuzarbeit war, dass sich immer mehr Menschen an uns wenden, die aufgrund Ihres erhöhten Pornographiekonsums, Liebes – und Beziehungs-unfähig geworden sind. Wir erleben eine starke Sehnsucht nach „echten und tiefgehenden“ Beziehungen, statt oberflächlichem, sexuell schnell verfügbarer Lustbefriedigung. Erschreckend ist nur, dass die Ratsuchenden nicht mehr wissen, wie Sie solch eine Beziehung zum anderen Geschlecht aufbauen können. Hier offenbart sich eine zunehmend große Not. Aus diesem Grunde haben wir beim „Weissen - Kreuz“ speziell ein Seminar zum Thema „Beziehungen gestalten“ entworfen. Nähere Informationen können Sie über www.beziehungengestalten.de abrufen.

Die Zunahme an Liebes- und Beziehungsunfähigkeit geht zudem einher mit dem Verlust an „Schamempfinden“ und der Empfin-dungsunfähigkeit.

Der Neurobiologe und Verhaltenspsychologe Prof. Klaus Mathiak hat es in dem Sternartikel zum Thema „Sexuelle Verwahrlosung“, Stern, Ausgabe Nr. 6 vom 01.02.2007, folgendermaßen Ausgedrückt:

„Auch Gewalt muss der Mensch lernen. Er muss eine Hemmschwelle überwinden. Boxer trainieren das mit speziellen Übungen. Bei Pornos, vor allem bei Gewaltpornos, wirkt derselbe Mechanismus. Bei jemandem, der sich laufend Gewaltsex und Gang-Bang-Szenen ansieht, bei denen die Frauen "echte Schmerzen" empfinden, bei dem verändert sich das Gehirn. Vom Anblick leidender Menschen sexuell stimuliert zu werden, dazu muss man die Empathie ausschalten, sonst wirkt es nicht. Und das muss man erst lernen - indem man das immer und immer wieder anschaut.„
Ich denke, diese Aussagen sind selbstredend und benötigen keinen weiteren Kommentar.

Letztendlich erleben wir, dass die Menschen mit einem erhöhten Bedarf an sexuellen Praktiken und der damit verbunden Lebens-weisen, nicht glücklicher sind, sondern oftmals unter großen Selbstzweifeln und auch unter Bedeutungslosigkeit leiden. Sie erleben Sexualität entleert, weil sie nicht auf der Grundlage „echter Liebe“ und „Hingabe“ an einen Menschen praktiziert wird, sondern von der Beziehungsgestaltung zu einem Menschen losgelöst ist. Das Erleben der sexuellen Praktiken und Lusterfahrung führt nämlich in der Loslösung von einer echten Beziehung dazu, dass eine „Mauer“ zwischen zwei Menschen aufgebaut wird. Jeder bleibt nämlich sich selbst, trotz der körperlichen Begegnung, der Nächste. Statt eines „Wir“ und der eigentlichen Erfahrung des „Du“, wo für die sexuelle Begegnung geschaffen wurde, bleiben wir beim einsamen „Ich“.

3) Wie wirken sich diese pornographische Filme auf die allgemeine Entwicklung auf das Erwachsen werden aus?

Im Hinblick auf die langfristigen Konsequenzen, sehe ich eine Zunahme an „psychische und physischen Erkrankungen“ auf uns zukommen. Darüber hinaus werden wir es mit einer zunehmenden Verrohung und einer Steigerung der Gewalttaten in unserer Gesellschaft zu tun bekommen. Wir erleben schon heute eine Zunahme an Gleichgültigkeit gegenüber der Not und dem Elend andere Menschen. Die Menschenwürde wird in Zukunft noch mehr mit Füßen getreten werden. Das Recht des Einzelnen auf Unversehrtheit wird an Bedeutung verlieren. Wir züchten uns eine Gesellschaft mit beziehungsunfähigen Menschen heran, wo letztlich der Einzelne in Bedeutungslosigkeit versinken wird.

4) Kommen Kinder auch in der Schule, sei es durch Mitschüler, sei es durch die sog. Sexualaufklärung mit solchen Inhalten in Kontakt?

Ich denke, viel stärker als die Sexualerziehung in den Schulen, beeinflusst das Vorbildverhalten der Eltern und Erziehungs-berechtigten die Entwicklung der Kinder. Deutlich ist zu erkennen, dass Eltern und Erziehungsberechtigte aus sozialen Randgruppen und dem entsprechenden Milieu, über eine deutlich niedrigere Hemmschwelle für die Anwendung und Durchführung „sexuellen Fehlverhaltens“ besitzen als sozial besser gestellte Gruppen. Der Mensch, insbesondere Kinder lernen „Sozialverhalten“, insbesondere auch den Umgang mit „Sexualität, Intimität, Scham, Beziehungsgestaltung usw.“, am Vorbild der Eltern. Erleben die Kinder bei ihren Erziehungsberechtigten eine Verrohung der Sexualität und eine hemmungslose Freizügigkeit die keine Grenzen und Scham mehr kennt, dann werden Sie dazu neigen dieses Verhalten zu kopieren. Sie kennen es ja nicht anders. Haben die Kinder in Ihren Erziehungsberechtigten aber gute Vorbilder, die Ihnen die Schönheit, Intimität und den Wert der Sexualität im Rahmen einer von Liebe, Achtung und Wertschätzung, vorgelebten Partnerschaft näher bringen, dann wird auch dies im Leben der heranwachsenden Kinder sichtbar werden. Im Sternartikel wir dieser Zusammenhang deutlich herausgearbeitet. Darüber hinaus dürfen wir den Einfluss von Peergroups, Internet und Musik auf die sexuelle Entwicklung der Kinder nicht unterschätzen. So sind z.B. Extrempornos über das Internet, für Kinder- und Jugendliche, eine leicht zugängliche Wahre geworden.

5) Welche Beziehung existiert zwischen dem Konsum von Pornographie durch Kinder und einer Verwahrlosung oder Vernachlässigung von Kindern? Kann man sagen, dass Kinder in stabilen Familienverhältnissen weniger anfällig sind für solche Probleme?

Grundsätzlich kann ich dies bejahen! Ja, Kinder aus stabilen Familienverhältnissen besitzen durchaus stärkere Abwehrkräfte als andere Kinder, obwohl wir davon ausgehen müssen, dass dieses Problem auch in sozial gutgestellten Familien verstärkt vorkommen wird. Zum einen besteht die Möglichkeit für Jedermann durch das Internet auf Pornographie zuzugreifen kann. Auf der anderen Seite wird das Thema „sexuelle Verwahrlosung“ in „sozial schwachen Familienstrukturen“ schneller aufgedeckt, als in anderen Familien. Sozial schwache Familien stehen aufgrund der gesellschaftlichen Aufmerksamkeit im Hinblick auf das allgemein aktuelle Thema „Verwahrlosung“ unter einer wesentlich stärker unter Beobachtung. Die Fälle von „sexuelle Verwahrlosung“ werden auf diese Weise viel stärker in der Öffentlichkeit wahrgenommen.

Über den Referenten:
Eberhard Ritz, 44 Jahre, verheiratet, zwei Kinder.
Freiberuflicher Ehe-, Lebens-, Krisenberater und Coach
Vorstandsmitglied im „Weissen – Kreuz“ e.V. Kassel – Ahnatal
Fachverband für Sexualethik und Seelsorge im Diakonischen Werk
Die Hauptsächlichen Quellen zum Thema:
„Stern „Sexuelle Verwahrlosung“ Ausgabe Nr. 6 vom 01.02.2007
„Onlinesexsucht“ Fakten, Hintergründe, Hilfestellungen - Weisses Kreuz e.V. Ahntal

Weitere Informationen sind unter www.weisses-kreuz.de zu erhalten.