Sonntag, 16. September 2018

Selbstverletztendes Verhalten

Nina Stec

Selbstverletztendes Verhalten wie „Ritzen“, ist schmerzhaft und hinterlässt unschöne Narben, dennoch sind gerade in Deutschland besonders viele Kinder und Jugendliche von selbstverletztendem Verhalten betroffen. 35% aller Heranwachsenden hat sich zumindest einmal absichtlich selbst Wunden zugefügt, etwa 12% machen es regelmäßig, Mädchen dreimal so häufig wie Jungen. Auf Instagramm finden sich über 400000 Fotos von Verletzungen, die sich Nutzer selbst zugefügt, abfotografiert und ins Internet gestellt haben. Aber warum macht jemand so etwas? 

Bei selbstverletztendem Verhalten handelt es sich nicht um eine alleinstehende Krankheit, sondern um ein Symptom, das diverse Ursachen haben kann, die nicht immer leicht ermitteln lassen. 

Jugendpsychiater berichten etwa, dass sich ihre Patienten „besser fühlen“, nachdem sie sich selbst geschnitten oder anderweitig verletzt haben. Sie leiden häufig unter innerer Anspannung und sind mit ihren eigenen Gefühlen überfordert.  

Der bei den Verletzungen entstehende Schmerz wirke bei den Betroffenen auf die Gehirnregionen, die für die Verarbeitung von Gefühlen wichtig sind, sodass schlechte Gefühle nachlassen. Forscher vermuten zudem, dass Glückshormone freigesetzt werden könnten, die ein Hochgefühl hervorrufen und die in den Gehirnen einiger selbstverletztender Jugendlicher nicht ausreichend gebildet werden können, sodass sie zu Depressionen neigen und etwa mit Stress schlechter umgehen können. 

Amerikanische Psychologen haben vier Hauptmotive herausgearbeitet, die bei den meisten Betroffenen eine Rolle spielen.

Zuerst steht der Wunsch, sich von den eigenen negativen Gefühlen zu befreien. Solche Betroffenen haben in einigen Fällen ein weniger ausgeprägtes Schmerzempfinden und geben an, bei der Selbstverletzung keine Schmerzen zu spüren. 

 Das zweit verbreitetste Motiv ist die „Selbstbestrafung“, für eigene als Fehler empfundene Taten oder Eigenschaften.

 Danach kommen jene Betroffenen, die durch ihre Verletzungen wahrgenommen werden wollen. Für sie steht der Wunsch nach Aufmerksamkeit, etwa durch Mitgefühl im Vordergrund, um möglichst viel davon zu bekommen, stellen manche Bilder ihrer Narben ins Internet. 

Am Ende kommen diejenigen Kinder und Jugendlichen, die sich verletzten, um unangenehmen Situationen auszuweichen und zum Beispiel nicht in die Schule gehen zu müssen, wo sie ansonsten einem unliebsamen Lehrer oder mobbenden Mitschüler begegnen würden, denn wer „krank“ ist darf zuhause bleiben…

Abgesehen von körperlichen Ursachen, wie Hormonstörungen, sind es vor allem vorangegangene, seelische Verletzungen durch schlechte Erfahrungen, die Betroffene oft in früher Kindheit machen mussten, die zu selbstverletztendem Verhalten führen: schwierige Familienverhältnisse, Trennung der Eltern, der Verlust einer geliebten Person oder auch Mobbing können traumatisierend Wirken, sodass entsprechende Kinder und Jugendliche, überfordert und allein mit dem ganzen Wirrwar an Emotionen, nicht zurecht kommen und nichts dagegen tun zu wissen, als sich auf denkbar schädliche Weise angebliche „Erleichterung“ zu verschaffen. 

Mit Informationen aus Welt am Sonntag, 17. Juni 2018