Dienstag, 5. Mai 2015

Bildungspläne: Neuer Stil in der Gender-Debatte, gleiche Inhalte

Mathias von Gersdorff

In der Debatte um die Einführung der Gender-Ideologie in den Schulen geben die involvierten Politiker kaum einen Ton von sich. Nun scheinen sie eine neue Vorgehensweise zu versuchen, um das Projekt dem Volk schmackhaft zu machen. Insbesondere in Baden-Württemberg ist dies notwendig, denn eigentlich muss der neue Bildungsplan im Herbst verabschiedet werden.

Dieser neue Ton ist sicherlich Folge der Proteste gegen den baden-württembergischen „Bildungsplan 2015“, die seit November 2013 andauern. Damals begann der Realschullehrer Gabriel Stängle, Unterschriften für seine Petition „Kein Bildungsplan 2015 unter der Ideologie des Regenbogens“ zu sammeln. Seitdem finden regelmäßig Straßendemonstrationen überall in Deutschland statt. Laufend werden neue Postkartenaktionen und Unterschriftensammlungen für Petitionen lanciert. Ein Ende der Proteste ist nicht in Sicht.

Andreas Stoch, Kultusminister Baden-Württembergs und damit zuständig für den „Bildungsplan“, besteht in einem Gespräch mit der Schwäbischen Zeitung darauf, dass alles nur ein Missverständnis und er Opfer von Verleumdungen sei: „Ich bekomme seit über einem Jahr unsägliche Dinge von den Menschen, die diese Thesen des Herrn Stängle vertreten.“

Beschwichtigungen des Kultusministers

Ansonsten gibt sich Stoch aber recht defensiv. So gibt er zu, dass der Entwurf für den Bildungsplan „vielleicht fehlerhaft gewesen sei, weil er den falschen Eindruck entstehen ließ“. Vor allem streitet er ab, dass Elisabeth Tuiders „Sexualpädagogik der Vielfalt“ in den Schulen zum Gebrauch kommt. Das zu denken, sei „schlicht absurd“, so Stoch.

Der Kultusminister behauptet, im Bildungsplan, der im Herbst 2015 verabschiedet werden soll, stünden „abstrakte Sätze, in denen Bildungsinhalte definiert werden“. Die konkrete Gestaltung des Unterrichts liege dann in den Händen der Lehrer. Stochs Zauberwort ist „Diskriminierung“: Im Zusammenhang mit „sexueller Akzeptanz“ ginge es ausschließlich darum, dass Menschen unterschiedlicher sexueller Orientierung nicht diskriminiert würden. Die Erläuterung von Sexualpraktiken sei hierfür völlig unnötig, so Stoch.

Im selben Tenor argumentiert eine Antwort der niedersächsischen Staatskanzlei auf eine Postkartenaktion der Initiative „Kinder in Gefahr“, die ich selber leite. Die Aktion protestierte gegen die Entschließung „Schule muss der Vielfalt sexueller und geschlechtlicher Identitäten gerecht werden – Persönlichkeitsentwicklung der Kinder und Jugendlichen fördern – Diskriminierung vorbeugen“ des niedersächsischen Landtages vom 15. Dezember 2014.

Nur scheinbare Mäßigung der Genderisten

Im Text der Staatskanzlei wird zwischen Sexualerziehung im Sinne von Sexualpraktiken, Schwangerschaft usw. und Erziehung zur „Toleranz gegenüber der Vielfalt sexueller und geschlechtlicher Lebensweisen“ unterschieden. Ausdrücklich werden die „Elternrechte hinsichtlich der Sexualerziehung“ genannt. Die neue Entschließung betont, dass sich die niedersächsische Landesregierung „mit den Schulen des Landes der besonderen Verantwortung gegenüber den Kindern und Jugendlichen und ihren Erziehungsberechtigten bewusst“ sei, so die Staatskanzlei.

Der Kommunikationsstil aus Stuttgart und Hannover ist moderater, sucht nicht mehr die offene Konfrontation („Wer gegen den Bildungsplan ist, ist homophob“), und dem Anschein nach zumindest nimmt er die Sorgen der Eltern ernst. Doch beim näheren Hinschauen stellt man fest, dass es sich nur um eine neue strategische Positionierung handelt, die keines der Kernanliegen der „Genderisten“ preisgibt.

Indem sie die „Frühsexualisierung“ abstreiten, wollen die Befürworter „sexueller Akzeptanz“ den Gegnern den Wind aus den Segeln nehmen, denn die Vorstellung, die Kinder würden schon ab dem ersten Grundschuljahr mit Sexualpraktiken Homosexueller, Bisexueller, Transsexueller usw. konfrontiert – also etwa wie im Praxisbuch Elisabeth Tuiders „Sexualpädagogik der Vielfalt“ vorgesehen – brachte die Eltern in Rage und trieb sie auf die Barrikaden.

Philosophischer Angriff auf die Grundlagen unserer Zivilisation

Doch ohne Frühsexualisierung läßt sich „Sexuelle Vielfalt“ nicht vermitteln. Wie soll ein Kind im ersten Grundschuljahr kapieren, was homosexuelle Personen sind, wenn man ihm die körperlich-affektive Beziehung zwischen Menschen gleichen Geschlechts nicht erklärt? Wie sollen Kinder die Existenz von Transsexuellen „akzeptieren“, wenn man ihnen nicht erläutert, dass die Geschlechtsorgane chirurgisch verändert wurden? Wie soll ein Kind völlig frei von jeglichem sexuellen Bezug begreifen, was bisexuelle Menschen sind?

Heutzutage halten viele Fortpflanzung und Sexualität für zwei völlig voneinander getrennte Dinge. Trotzdem lassen sich sogenannte sexuelle Identitäten nicht unabhängig von der menschlichen Möglichkeit zur Fortpflanzung erklären. Denn was Homosexuelle und Menschen sonstiger sogenannter sexueller Orientierungen kennzeichnet, ist, dass sie Dinge tun, die Intimitäten zwischen Mann und Frau parodieren.

Abgesehen davon ist schon die philosophische Grundlage dieser Gender-Erziehung elementar falsch. Die Vorstellung, es gäbe viele sexuelle Orientierungen, geht von der irrigen Annahme aus, es existierten Geschlechtstypen, die nichts mit der biologischen Beschaffenheit des Menschen zu tun hätten. Erziehung nach dem Prinzip, es gäbe eine große „sexuelle Vielfalt“ und nicht nur Männer und Frauen, wäre eine Erziehung, in der die Phantasie die Vernunft ersetzt. Sie stellt damit einen philosophischen Angriff auf die Grundlagen unserer Zivilisation dar.

Die CDU schaut zu

Zu Recht wurde kritisiert, hier ginge es nicht um Erziehung, sondern um eine Indoktrination, die ein völlig neues Menschenbild oktroyieren will, das sich an den Interessen der LSBTIQ-Lobby orientiert (zum Einfluss dieser Lobby in der Redaktion des „Bildungsplanes 2015“ siehe hier).

Die CDU hat sich, soweit es ihr möglich war, aus der ganzen Debatte um die Einführung dieses Irrsinns in den Schulen herausgehalten. Es gab zwar hier und da Stellungnahmen – vor allem in den Landtagsdebatten in Stuttgart und Hannover –, doch insgesamt ist das zu wenig angesichts der Bedeutung des Themas und der massiven moralischen Bedrohung der Kinder.

Die CDU hat wohl inzwischen den Ärger und das Unverständnis der Bürger gespürt. So haben nun einige baden-württembergische Landtagsabgeordnete „verfassungsrechtliche“ Bedenken gegenüber den Vorhaben der grün-roten Landesregierung geäußert. Es wäre nicht das erstemal, dass die Union diesen Weg wählt, um sich nicht politisch mit einem „lästigen“ Thema beschäftigen zu müssen: Paragraph 218 StGB, Enteignungen 1945-1946 in der Sowjetischen Besatzungszone, Lebenspartnerschaftsgesetz usw.: Nachdem die CDU in Karlsruhe scheiterte, hat sie sich schlicht aus der Affäre geschlichen.

Verfassungsrechtliche Bedenken kein Ersatz für klare Positionierung

Im Falle des Paragraphen 218 ist das besonders beschämend, weil Karlsruhe dem Bundestag eine „Beobachtungs- und Nachbesserungspflicht“ angeordnet hatte. Der Bundestag sollte also im nachhinein prüfen, ob die Zahl der Abtreibungen nach dem neuen Gesetz tatsächlich sinken würde. Doch die Bundestagsabgeordneten wollten sich mit dem schwierigen Thema überhaupt nicht mehr befassen. Auch der CDU ist das Thema lästig.

„Verfassungsrechtliche Bedenken“ sind kein Ersatz für eine eindeutige Positionierung. Die CDU sollte den Kampf gegen den grün-roten Bildungsplan nicht scheuen, sondern sich mit den Eltern verbünden und klar sagen: Nein zur „Akzeptanz sexueller Vielfalt“! Nein zu jeglicher Gender-Indoktrination!