Dienstag, 14. Oktober 2014

Aggressive Kinder und Jugendliche – Prävention statt Strafe

Kinder, die Gleichaltrige mobben, bis diese nicht mehr in die Schule gehen oder sich das Leben nehmen, Jugendliche, die Passanten in S-Bahnen oder an Bushaltestellen zusammenschlagen, und Halbwüchsige, die sich weder von Eltern noch von der Justiz bändigen lassen – derartige Bilder und Meldungen über junge, hochaggressive Menschen in den Medien sind fast schon alltäglich geworden. Zugleich schocken sie immer wieder von Neuem auf und verunsichern viele Erwachsene im Umgang mit jungen Leuten. Besonders alarmierend scheint die Tatsache, dass Gewalttaten von Jugendlichen immer brutaler werden und die körperlichen Übergriffe zunehmend auch von Mädchen und jungen Frauen ausgehen.

Immer wieder schrecken Meldungen über besonders brutale Jugendliche auf. 2009 schlugen an einem S-Bahnhof in München zwei Jugendliche einen Mann zu Tode, weil er vier Schüler schützen wollte. Oft reichen Kleinigkeiten, damit die Täter ausrasten.

Dies zeigt auch aktuell den Fall aus Brandenburg vom 20. September 2014. Drei junge Männer schlugen am Samstagabend in einer Regionalbahn mit Fäusten auf einen Familienvater ein. Das nur, weil das Opfer die Gruppe gebeten hatte etwas leiser zu sein. Auch die 32-jährige Ehefrau und der 6-jährige Sohn wurden verprügelt. Alle drei Opfer mussten im Krankenhaus behandelt werden. Die Täter flüchteten, nach Angaben der Polizei, am nächsten Bahnhof. Nun haben sich die mutmaßlichen Täter gestellt - einen Tag nach Veröffentlichung von Fahndungsfotos.

Dass externalisierende Verhaltensauffälligkeiten wie Aggressivität, Gewalt und Delinquenz im Kindes- und Jugendalter in den vergangenen Jahrzehnten insgesamt zugenommen haben, lässt sich jedoch nicht ohne Weiteres behaupten, weil dazu unterschiedliche Auffassungen und Indikatoren existieren. Es gibt beispielsweise Studien, die von einer relativen Konstanz, ja sogar von einem leichten Rückgang der Jugendgewalt ausgehen.

Dies zeigt auch die Statistik des ÖPNV. Zwar stiegen die Straftaten im öffentlichen Personennahverkehr 2013 an, etwa in Berlin um fast 11 Prozent. Jedoch gingen die Delikte ‘mit Gewaltcharakter‘ um rund zwei Prozent zurück. Ähnlich auch in anderen Großstädten wie München, wo die Zahl der Straftaten mit Körperverletzung im ÖPNV von 637 auf 562 sank.
„Die Zahlen gehen seit zehn Jahren beständig zurück“, sagt der Wissenschaftler vom Institut für Kriminologie der Universität Heidelberg, Christian Laue.

Doch warum eskalieren manche Situationen deutlich extremer? „Viele Faktoren können eine Rolle Spielen – einen einzelnen Grund gibt es selten, glaubt Thomas Fischer vom Deutschen Jugendinstitut. Zum Beispiel die enthemmende Wirkung von Alkohol, die Dynamik einer Gruppe oder die Erziehung, erklärt Fischer. Wichtig seien ebenso das persönliche Umfeld und der Freundeskreis. Wenn Jugendliche nicht gelernt haben mit Konflikten umzugehen, wissen sie sich oft nur mit Gewalt zu helfen.

Die Experten sind sich einig: Nur bessere Prävention könne helfen, höhere Strafen als Abschreckung nicht. Denn dies funktioniere schon bei Erwachsenen nicht. „Auch Jugendliche überlegen sich nicht vorher, was ihnen drohen könnte – sondern erst danach“, sagt Laue.




Die Ursachen für aggressives Verhalten bei Kindern und Jugendlichen sind vielfältig und oft eng miteinander verbunden. Besondere Aufmerksamkeit sollte das elterliche Erziehungsverhalten bekommen.

Elterliches Fehlverhalten ist gekennzeichnet durch fehlende oder zu wenige positive Faktoren wie zum Beispiel: Wärme, Sensibilität, Einfühlung, Akzeptanz, Bindungssicherheit, Unterstützung prosozialen Verhaltens und eine strukturierte Umgebung. Ebenso durch viele negative Faktoren wie widersprüchliches Handeln, fehlende Routine und Sicherheit, Zurückweisung und Bestrafung, Härte und körperliche Gewalt, negative Rückmeldungen und Anschuldigungen, schlechtes Vorbild, familiäre Zerrüttung und häusliche Gewalt.

Als Umweltfaktoren, die einen negativen, aggressivitätsfördernden Einfluss auf Kinder und Jugendliche haben, gehören unter anderem: Gewaltdarstellungen in den Medien (Videospiele, Fernsehen, Spielfilme), Gewalt- und Missbrauchserfahrungen, gewaltbereite Gleichaltrige und ein ungünstiges Umfeld (unsichere Wohngegend, kriminelle Nachbarn). Ihr Einfluss vergrößert sich, wenn Eltern nicht genug auf ihre Kinder aufpassen und den unerwünschten Umgang nicht verhindern oder einschränken.

Dr. med. Christian Bachmann von der Klinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters an der Charité in Berlin stellen in der Fachzeitschrift „Kindheit und Entwicklung“ (4/2010) mehrere Interventionen vor, die nach aktuellem Erkenntnisstand und gemäß strenger Bewertungskriterien als langjährig erprobt, als kontinuierlich weiterentwickelt und lösungsorientiert anzusehen sind. Sie unterscheiden dabei Interventionen im Kindesalter (vier bis zwölf Jahre) und im Jugendalter (zwölf bis 18 Jahre).

Die Interventionen haben allgemein zum Ziel, aggressives Verhalten abzubauen, alternative Verhaltensweisen einzuüben, soziale Kompetenzen zu stärken und eine problematische Entwicklung zu verhindern. Bei Programmen für Kinder steht häufig ein Elterntraining im Vordergrund, mit dem die elterlichen Fähigkeiten zur Anleitung der Kinder und die Eltern-Kind-Beziehungen verbessert werden sollen.

Mit Material aus: GMX/Ärzteblatt.de