Samstag, 26. April 2014

Gefängnis wegen Weigerung, am Sexualkundeunterricht teilzunehmen

Armin Eckermamnn (SchuZH)

Gestern (24.04.2014) wurde Frau Anna Wiens festgenommen. Sie muss 8 Tage Erzwingungshaft in der Justizvollzugsanstalt Gelsenkirchen absitzen. Grund: Ihr Sohn weigerte sich, am staatlichen Sexual-Unterricht teilzunehmen; sie und ihr Mann wollten ihren Sohn nicht zur Teilnahme zwingen, sie respektierten das Persönlichkeitsrecht ihres Sohnes.

Wie Väter und Mütter vor ihr, die die Rechte ihrer Kinder und ihre Erziehungsverantwortung (Art. 6 II Satz 1 GG) wahrnahmen, lernt Frau Wiens das Gefängnis kennen. Dazu ein paar Eindrücke derer, die die Erzwingungshaft bereits durchlitten:

Im Gefangenentransport geht es, wenn man Glück hat, direkt in die JVA, in der die Erzwingungs-haft abzusitzen ist. Das ist für Frauen aus dem Großraum Paderborn in der Regel Gelsenkirchen. Hat man Pech, geht der Transport über mehrere Stationen, zunächst nach Bielefeld. Dort kommt man mit Schwer-Kriminellen zusammen. Der Transport von Bielefeld über Hamm nach Gelsenkir-chen kann einen ganzen Tag dauern. Mit zwei bis vier Gefangenen zusammengepfercht in käfig-ähnlichen Zellen, werden Gefangene an verschiedenen Orten aus- und eingeladen. Die einen schimpfen, fluchen, rauchen, andere sind stumm; wenige erzählen ihre Lebensgeschichte. Der Ver-lust der Freiheit und der Selbstbestimmung wird einem bewusst. Aussteigen, weggehen zurück in seine Welt, in seinen Alltag, gibt es nicht mehr – gefangen im Gefangenentransport.

Nach Kontrollen und ärztlicher Untersuchung in der Haftanstalt bekommt man sein Essgeschirr, alle notwendigen Toilettenartikel und seine Bettsachen. Was einem bleibt – wenn man Glück hat kampflos –, sind seine private Kleidung und Lektüre. Dann geht es in die Zelle – kein Zimmer. Zigarettenrauch empfängt einen, frisch oder abgestanden. Hier darf jeder rauchen, solange er Ziga-retten hat, kaufen oder eintauschen kann. Fehlen sie, ist der Nichtraucher zwar vom passiven Mitrauchen befreit, aber unbefriedigte Nikotinsucht treibt die Zellengenossinnen unruhig hin und her. In einem Fall wurde nach dem Aufseher gerufen und gerufen und um Zigaretten gebettelt. Aber es gab keine. Dem Aufseher wurde es dann zuviel, und er führte die Gefangene in den Aufenthaltsraum der Bediensteten. Dort konnte sie sich aus den Kippen den Resttabak holen und sich „eine drehen“.

Entzugserscheinungen, nicht nur bei Nikotin-, sondern auch bei Alkohol- und Drogensüchtigen gehören dazu. Bereits bei der ärztlichen Eingangsuntersuchung wird nach der Drogenabhängigkeit gefragt und gegebenenfalls die Menge an Methadon festgelegt. Beim Freigang finden Tauschge-schäfte aller Art unter den Gefangenen statt; sogar echte Drogen finden auf irgendwelchen Wegen auch immer in die Gefängnisse. 

Als Erzwingungshäftling hat man Anspruch auf eine Einzelzelle; aber wenn eine solche nicht frei ist, geht es auch – gesetzwidrig – in eine Mehrbettzelle. Rauchen ist da selbstverständlich, und der Fernseher läuft 24 Stunden – ohne Kopfhörer!

In der Zelle befindet sich auch die Toilette – manchmal lediglich durch eine schmale „spanische Wand“ abgetrennt. Schirmt man sich von der Mitinsassin ab, ist man nicht geschützt vor dem Gefängnispersonal, das plötzlich durch die Tür eintreten kann. Tastet hier nicht der Staat die Würde des Menschen, des Gefangenen, an? Die Würde des Menschen ist unantastbar, so heißt es in Art. 1 I GG.

Die Zellen sind von den Insassen in Ordnung zu halten. Da gibt es ganz unterschiedliche Vorstel-lungen von Sauberkeit – auch beim Gefängnispersonal. So muss man schon mal warten, bis man die Reinigungsutensilien bekommt.

Aber auch in der Einzelzelle ist das Gefängnis keine Oase der Ruhe und Erholung. Aus den Nach-barzellen tönen Radio und Fernseher, über die Fenster werden Gespräche geführt oder einfach sei-nem Frust freien Lauf gelassen. Fällt die Zellentür ins Schloss, wird einem spätestens jetzt bewusst, was der Entzug der Freiheit – die schwerste Strafe, die das bundesdeutsche Gesetz vorsieht – bedeutet: Verlust der Selbstbestimmung, Verlust jeglichen gesellschaftlichen Kontaktes, ausgeliefert einer Parallelgesellschaft, die einem fremd, ja auch unheimlich werden kann. Einsamkeit und Untätigkeit werden auch Frau Wiens, Mutter von 12 Kindern zwischen einem Jahr und fünfzehn Jahren, zu schaffen machen.

Fjodor Michailowitsch Dostojewskij schreibt: „Physische Kraft ist im Gefängnis nicht weniger nötig als moralische, um all die … Unannehmlichkeiten dieses unseligen Lebens ertragen zu kön¬nen.“

Warum das alles?

Nach dem Gesetz muss Erzwingungshaft nicht angeordnet werden. Die Erzwingungshaft kann abgebrochen werden, wenn sich zeigt, dass sie nicht zum Ziel führt. Bei allen Eltern, die wegen der Nichtteilnahme ihrer Kinder an der schulischen Sexualerziehung in Erzwingungshaft genommen wurden, hat selbst mehrfache Erzwingungshaft, sogar bis zu 40 Tagen, nicht zum Ziel geführt.

Warum also die Erzwingungshaft?

Es bleibt das Geheimnis der Regierung von NRW, warum sie gegen Gesetz und Recht unbeschol-tene Bürger, die ihre Elternverantwortung auf Pflege und Erziehung ihrer Kinder ernst nehmen, mit der schwersten Strafe belegen, die das deutsche Gesetz kennt – Entzug der Freiheit –, nur weil sie ihre Kinder vor ein paar Stunden umstrittener staatlicher Sexualerziehung schützen.
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Wer Frau Wiens schreiben möchte, hier ist die Adresse:

JVA Gelsenkirchen
z. Hd. v. Fr. Anna Wiens
Aldenhofstr. 99-101
45883 Gelsenkirchen