Mittwoch, 11. Dezember 2013

Paul Herzog von Oldenburg zur Niederlage „Estrelas“: Abtreibungslobby hat christlich-konservatives Mobilisierungspotential unterschätzt

Paul Herzog von Oldenburg ist Leiter des Büros der „Föderation Pro Europa Christiana“ (FPEC) in Brüssel. FPEC ist ein Zusammenschluss diverser christlich orientierter Organisationen aus ganz Europa: Deutsche Vereinigung für eine Christliche Kultur (Deutschland), Stowarzyszenie Kultury Chrześcijańskiej Piotr Skarga (Polen) Tradition Famille Proprieté (Frankreich), SOS Ragazzi (Italien) und weitere. Das Büro in Brüssel repräsentiert diese Organisationen gegenüber den Institutionen der Europäischen Union. Mit Paul Herzog von Oldenburg sprach Mathias von Gersdorff (Aktiv bei der Aktion SOS LEBEN der DVCK e.V.)


Mathias von Gersdorff: Als langjähriger Beobachter der Europa-Politik: Kam für Sie das Abstimmungsergebnis über Estrela überraschend?

Paul Herzog von Oldenburg: Nicht ganz. Man muss sehen, das selbst für die Linken und für die Abtreibungslobby am Ende „Estrela“ so was wie ein Himmelfahrtskommando wurde. Der Bericht war nämlich so radikal, dass sich Lebensrechtler und Familienschützer auf der einen Seite und Euroskeptiker auf der anderen Seite zur einer Allianz gefunden haben. Außerdem kamen die Unregelmäßigkeiten des Verfahrens hinzu. Den Befürwortern von „Estrela“ waren die Parlamentarischen Regeln egal. Sich da durchzusetzen war nicht einfach.

MvG: Können Sie das genauer ausführen?

PvO: Die euroskeptischen Parlamentarier sind nicht unbedingt wertkonservativ. Sie wollen in erster Linie eine übermächtige Europäische Union verhindern. Die wertkonservativen, beispielsweise die Lebensrechtler innerhalb der Europäischen Volkspartei, also die Christdemokraten, haben oft keine allzu großen Bedenken gegen eine stärkere Zentralisierung. Aus diesem strukturellen Grund besitzen die Linken eine überproportionale Macht im EU-Parlament. „Estrela“ hat aber beide Gruppen gegen sich aufgebracht.

MvG: Wie war das möglich? Ein strategischer Fehler?

PvO: Sicherlich das. Doch sie haben auch unterschätzt, dass so viel Widerstand aufkommt. Lebensrechtsorganisationen aus ganz Europa haben Faxe, Postkarten und E-Mails an die Parlamentarier geschickt und das schon seit Monaten. Schließlich gab es ganze Parlamentariergruppen, die Widerstand angekündigt haben – wie etwa die CSU – am Ende noch die Bischofskonferenzen Deutschlands und Österreichs. Das ist neu und damit haben die Linken offenbar nicht gerechnet.

MvG: Aber war der zweite Anlauf vorhersehbar, nachdem der Bericht schon am 22. Oktober abgelehnt wurde?

PvO: Die Lage war so: Nächstes Jahr wäre es noch riskanter gewesen, ein ähnliches Projekt oder einen stark abgeänderten „Estrela-Bericht“ voranzutreiben, weil Ende Mai 2014 die Europawahlen stattfinden. Das Thema birgt Sprengstoff, was die die Linken ja wussten. Während des Wahlkampfes hätten sie sich sehr angreifbar gemacht. Viele haben wohl gemeint: Jetzt oder gar nicht und sie sind das Risiko eingegangen.

MvG: Und wie geht es jetzt weiter?

PvO: Ehrlich gesagt glaube ich, dass viele Befürworter von „Estrela“ mit dem Wahlausgang gar nicht so unzufrieden sind. Eines ist ja klar geworden: Der „christlich-konservative“ Milieu zeigte ein erhebliches Aktions- und Organisationspotential, und zwar europaweit. Wäre „Estrela“ durchgekommen, hätte es Proteste bis Ende Mai gegeben. Sicherlich hätte das den Linken Stimmen gekostet, zumal anzunehmen ist, dass, wegen der Finanzkrise usw., die Euroskeptiker Anteile zu Lasten der Linken gewinnen werden.

MvG: Also ist nicht davon auszugehen, dass aus den europäischen Institutionen linke gesellschaftspolitische Impulse kommen?

PvO: Nein, das wäre zu viel Optimismus. Ich gehe aber davon aus, dass in Zukunft ähnliche Projekte intensiver von den vielen linken ONGs „unters Volk“ gebracht werden, um sie erst dann zum Parlament zu bringen. Geld und Organisationsstruktur haben sie dafür. „Estrela“ war auch so unsympathisch, weil das Projekt regelrecht aufgezwungen werden sollte. In Zukunft werden die Linken versuchen den Anschein zu geben, die „Zivilgesellschaft“ stünde hinter ihnen.