Mittwoch, 3. Juli 2013

Jeder zehnte Pubertierende ist psychisch krank

20 Prozent der Heranwachsenden entwickeln in der Pubertät psychische Auffälligkeiten. Rund zehn Prozent der Fälle seien so gravierend, dass sie behandlungsbedürftig werden, sagt die Kinderpsychiaterin Beate Herpertz-Dahlmann von der Aachener Universitätsklinik.

Die Pubertät bringt große psychische Belastungen mit sich. Manche Jugendliche können damit nicht umgehen. Bei Anzeichen von Problemen sollten Eltern professionelle Hilfe suchen.

Das typische Verhalten von Jugendlichen in der Pubertät erklärt sich die Wissenschaft mit einem Ungleichgewicht in der Hirnreifung. Das Modell der New Yorker Psychobiologin BJ Casey von der Cornell University geht davon aus, dass das schon ausgereiftere limbische System - zuständig für die Gefühlswelt - öfter als bei Erwachsenen die Oberhand gewinnt, weil die Kontrollinstanz des Gehirns, der präfrontale Cortex, in seiner Entwicklung noch hinterherhinkt. Ein Übriges tut die intensive Ausschüttung von Sexualhormonen.

Das führt dazu, dass viele Jugendliche und junge Erwachsene risikobereiter sind und Lust auf extreme Gefühle haben. Zwar sind sie zu rationalen Entscheidungen fähig. Aber wenn etwa unter Gleichaltrigen Anerkennung winkt, wird die Vernunft gerne in den Wind geschlagen. "Extremere Verhaltensweisen gehören zu dieser Entwicklungsphase dazu", sagt auch Marcel Romanos. Das müsse aber nicht per se krankhaft sein. Gleichwohl sei die Anfälligkeit für psychische Erkrankungen "in dieser Zeit generell erhöht."

Der Blick in die Statistiken scheint die Theorie der Hirnforscher zu bestätigen: "Zu den häufigsten Todesursachen von 15- bis 20-Jährigen zählen Verkehrs- und andere Unfälle, Gewalt sowie Selbstverletzungen", sagt Kerstin Konrad. Jungen und Mädchen zeigten ähnlich häufig riskante Verhaltensweisen, wobei die Jungen vor allem bei Alkohol, Tabak, illegalen Drogen und im Straßenverkehr auffielen, während die Mädchen sich häufiger gesundheitsgefährdenden Diäten unterzögen und Essstörungen entwickelten.

Essstörung:„Viele pubertierende Mädchen fühlen sich zu dick, ganz egal, wie viel sie wiegen. Die Übergänge zwischen pubertärem Diätverhalten und Magersucht sind fließend. Wichtige Anzeichen für eine Essstörung sind neben der Gewichtsabnahme das Ausbleiben der Menstruation und starke Stimmungsschwankungen. Die Betroffenen verstecken die Krankheit hinter einer Fassade aus hervorragenden schulischen oder sportlichen Leistungen.“ Monika Gerlinghoff, Therapie-Centrum für Ess-Störungen, München.

Ritzen:„Es gibt einen Trend an Schulen, dass Jugendliche sich selbst verletzen. Dies kann Ausdruck von seelischem Leid oder Unzufriedenheit sein. Teilweise geschieht es aber auch aus einer Art Gruppenzusammengehörigkeit, einer Modeerscheinung in der Pubertät. Etwa zwei Prozent der Bevölkerung leiden darunter. Generell passieren die Selbstverletzungen in einem sehr emotionsgeladenen Zustand, um das Gefühl der inneren Leere zu beenden, oder zur Selbstbestrafung.“ Stefan Röpke, Kinder- und Jugendpsychiater, Charité, Berlin.

Depression:„Sie tritt im Jugendalter mit am häufigsten auf. Das ist vor allem auf hormonelle Prozesse sowie körperliche und seelische Veränderungen in dieser Zeit zurückzuführen. Die Betroffenen reden sich ein: „Ich tauge nichts, ich bin nichts wert.“ Bei psychisch kranken Jugendlichen kommt es häufig zu einem relativ plötzlichen Knick in ihrer Entwicklung. Sie ziehen sich zurück, geben Hobbys auf und verschließen sich immer mehr gegenüber anderen. Man kann eine Depression oft von außen erkennen. Etwa an der Mimik, die immer ausdrucksloser und trauriger wird." Kai von Klitzing, Jugendpsychiater, Uniklinik, Leipzig.

"Psychische Erkrankungen entstehen immer aus einem Wechselspiel von erblicher Veranlagung und Umweltfaktoren", sagt Romanos. Auch das Umfeld beeinflusse, wie gut die Heranwachsenden durch ihre schwere Zeit kommen: Eine zu strenge Erziehung, geringes Interesse der Eltern an ihren Kindern, Elternkonflikte, Trennung, Scheidung, Armut oder soziale Isolierung gelten als Risikofaktoren. Außerdem setzt es Jugendliche unter enormen Druck, wenn die Erwartungen an sie allzu hoch sind, zumal sie gerade im Begriff sind, in ihre neue soziale Rolle hineinzufinden.

Mit Material von Spiegel online