Mittwoch, 24. Juli 2013

Christliche Ehe: Eine Gegenrevolution tut not

Mathias von Gersdorff

Am Ende dieser Legislaturperiode hat der Deutsche Bundestag die steuerliche Gleichstellung homosexueller Partnerschaften mit der normalen Ehe beschlossen. Diese Entscheidung war die Reaktion auf ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das diese Angleichung forderte. Insbesondere sollten gleichgeschlechtliche Partnerschaften in den Genuß des Ehegattensplittings kommen.

Je nachdem, wie die Bundestagswahl am 22. September ausgeht, könnte es zu weiteren „Angleichungen“ kommen. Alle Parteien außer der Union fordern für Homosexuelle das Recht, Kinder adoptieren zu dürfen. Dies können sie gegenwärtig nicht als Paar tun. Nach dem geltenden Adoptionsrecht soll das adoptierte Kind von einer Familie aufgenommen werden, die so weit wie möglich seine eigene replizieren soll. Deshalb ist die normale Ehe die Norm bei einer Adoption.

Mit unterschiedlicher Lautstärke haben sich alle Parteien außer der Union für die Öffnung der Zivilehe für Homosexuelle ausgesprochen. Würde dies tatsächlich geschehen, so wäre der Begriff „Ehe“ seiner eigentlichen Bedeutung entleert. Per Gesetz – zumindest was die Zivilehe betrifft – hätte man der Vokabel einen völlig anderen Sinn gegeben, als sie bislang seit Jahrtausenden hatte, denn mit der Ehe war immer auch die Möglichkeit der Fortpflanzung verbunden.

Um eine Strategie zur Verteidigung von Ehe und Familie zu entwickeln, ist es möglicherweise nützlich, diese jüngste Entwicklung in einem breiteren zeitlichen Rahmen zu analysieren. Hierfür eignen sich die Aussagen der Päpste, vor allem die großen „Familienenzykliken“, die allesamt in der Auseinandersetzung mit der weltlichen Ordnung hierüber entstanden sind. Diese päpstlichen Stellungnahmen behandelten immer zwei Punkte: 1. Eine willkürliche Gestaltung der Ehe durch die staatliche Hand und 2. einen Angriff auf die kulturellen, psychologischen und moralischen Rahmenbedingungen für das Gedeihen stabiler Ehen.

Während des gesamten 19. Jahrhunderts mußten die Päpste immer wieder die Ehe verteidigen. Die erste Enzyklika, die sich umfassend damit beschäftigt, ist „Arcanum divinae sapientiae“ von Leo XIII., im Jahr 1880 geschrieben. In diesem Rundschreiben beanspruchte Papst Leo XIII. wie seine Vorgänger für die Kirche die Ehegesetzgebung, das heißt die Gestaltungshoheit über die Ehe. Für die katholische Kirche ist die Ehe ein Sakrament, sie hat also einen übernatürlichen Charakter und ist als göttliches Gesetz zu beachten. Es ist klar, daß unter diesen Umständen der Staat die Ehe nicht nach Gutdünken verändern darf, indem er beispielweise die Scheidung legalisiert. Leo XIII. erklärte in „Arcanum divinae sapientiae“, daß die eigentliche Heirat die kirchliche sei, während die bürgerliche Eheschließung „nicht höher einzuschätzen ist als ein im bürgerlichen Recht eingeführter Brauch oder eine bürgerliche Sitte“. Bis heute ist für praktizierende Katholiken die Zivilehe ein bürokratischer Akt, der eben notwendig ist. Die richtige Eheschließung ist die kirchliche.

Für uns ist interessant festzustellen, daß sich Leo XIII. keinen Illusionen über das langfristige Ziel dieser antikatholischen Politik hingab: „Das frevelhafte Ansinnen jener, die in unsern Tagen das Wesen der Ehe von Grund aus zerstören möchten.“

Nicht-katholische Leser dieser Kolumne könnten nun einwenden, daß der Staat durchaus das Recht hätte, der Kirche die Gestaltungskraft der bürgerlichen Ehe zu entziehen. Diese Leser sollten aber beachten, daß der Entzug der Ehe aus der kirchlichen Obrigkeit in der Geschichte immer mit der Intention geschah, sie im Widerspruch zur christlichen Auffassung zu gestalten.

Die Regulierungswut und Einmischung in die persönliche Sphäre der Familie weitete sich systematisch aus. Allein in der jüngsten Vergangenheit unseres Landes wurde kontinuierlich das Hoheitsrecht der Eltern auf die Erziehung ihrer Kinder eingegrenzt, die außerehelichen Geschlechtsbeziehungen wurden aufgewertet, und nun wurden gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften in den Rechtsrahmen der Ehe einbezogen.

Die rechtliche Einführung der Zivilehe reichte natürlich nicht aus, um diese Revolution durchzuführen. Selbst totalitäre, antiklerikale oder atheistisch inspirierte Staaten konnten nicht radikal mit der Ehe aufräumen, sondern mußten langsam vorangehen. Auch die Linksideologen müssen den kulturellen und psychologischen Rahmen beachten, um ihre Ziele zu erreichen.

Nach christlicher Auffassung ist die Ehe der Zusammenschluß von einem Mann und einer Frau mit dem zumindest theoretischen Zweck der Fortpflanzung. Eines der größten revolutionären Umwälzungen der letzten Jahrzehnte war die Entkoppelung des Eheaktes von der Fortpflanzung. Dies geschah durch die massenhafte Verbreitung von künstlichen Verhütungsmitteln, aber noch mehr aufgrund der immer geringeren Befolgung der christlichen Sexualmoral, nach der der Geschlechtsakt ausschließlich innerhalb einer gültig geschlossenen Ehe stattfinden darf.

Auf diese Gefahr für die Ehe bzw. die gesellschaftliche Wertschätzung der Ehe machte insbesondere Papst Pius XI. in seiner Enzyklika „Casti connubi“ aus dem Jahr 1930 aufmerksam. Mit aller Deutlichkeit schildert der Papst die vielen Angriffe auf die moralischen Grundlagen für die Existenz stabiler Ehen: Pornographie, sittenlose Schauspiele und Spielfilme, unzüchtige literarische Werke, aber auch Abtreibung und Euthanasie. In den 1920er Jahren gab es eine Art Vorläufer der späteren Revolution von 1968ff. mit ihrer Entfesselung menschlicher Leidenschaften. Es braucht nicht groß erwähnt zu werden, daß die Angriffe auf die Moral seitdem immer größer geworden sind.

Die dritte der großen Enzykliken zur Ehe ist „Humanae Vitae“ von Papst Paul VI. aus dem Jahr 1968. Auf der Grundlage von „Arcanum divinae sapientiae“ und „Casti connubi“ erläutert der Papst die sittlichen Normen, die im Eheleben beachtet werden sollten – vor allem der Verzicht auf Verhütungsmittel –, und fordert ein gesellschaftliches Klima, „das geschlechtlich zuchtvolles Verhalten begünstigt“. Die Achtundsechziger waren damals dabei, sämtliche moralischen Normen niederzureißen. Dieser kulturelle Angriff – man denke bloß an die „Wilde Ehe“ und an die „Freie Liebe“ – hat die psychologischen Bedingungen für die Schleifung der normalen Ehe geschaffen.

Eine Gegenrevolution zugunsten der Familie muß diese beiden Aspekte des ideologischen Kampfes um die Familie beachten: Desakralisierung der Ehe und der immerwährende Angriff auf ihre moralischen Grundlagen. Um der Ehe wieder den ihr gebührenden Platz in der Gesellschaft zu verleihen und um ihre Parodien, wie die gleichgeschlechtliche Partnerschaft, wieder abzuschaffen, muß auch die moralische Krise unserer Gesellschaft angegangen werden. Die christliche Sexualmoral, die den Geschlechtsakt auf die Ehe beschränkt, muß wieder gesellschaftliche Norm werden. Bloß den Begriff der Ehe zu verteidigen, reicht nicht aus.