Montag, 9. April 2012

Alexander Kissler zur Debatte um das Betreuungsgeld

In FOCUS-online äußerte sich am 5. April 2012 der Buchautor und Publizist Dr. Alexander Kissler kritisch zur derzeitgen Debatte um Kinder, Kitas und “Betreuung” der Kleinen. Unter dem Titel “Stoppt die Betreuungsindustrie in Deutschland” stellt der bekannte FOCUS-Autor Folgendes klar:

“Kinder sollen nicht erzogen, sondern betreut werden. Alte Menschen werden nicht umsorgt, sondern betreut: Deutschland ist längst zur betreuten Republik geworden. Dadurch wächst die Unmündigkeit und schwindet die Solidarität.

Man sollte viel öfter auf die Grammatik hören. Sie spricht die Wahrheit. Das Wort „betreuen“ zum Beispiel, heißt es, sei ein schwaches Verb. Das stimmt in jeder Hinsicht. Kaum ein schwächeres Wort ist denkbar. Dennoch entwickelt es sich zum Leitbegriff für eine ganze Gesellschaft. Die Bundesrepublik ist zur betreuten Republik geworden.

Vollversorgung von der Wiege bis zur Bahre wird uns vorgegaukelt. Von dieser trügerischen Illusion, diesen gefährlichen Sirenenklängen sollten wir uns verabschieden, wenn uns die Republik am Herzen liegt.

Derzeit streitet die Berliner Koalition aus CDU, CSU und FDP über das im gemeinsamen Koalitionsvertrag fest vereinbarte Betreuungsgeld. Da es trotz aller Mängel ein Mittel wäre, die Wahlfreit der Eltern zu stärken, sollten sich die Koalitionäre nicht vom Geschrei der Wirtschaftsverbände und der FDP irritieren lassen.

Deren Interessenlage ist durchsichtig: Je früher die Eltern ihr Neugeborenes aus dem Haus geben zur Fremdbetreuung, desto eher stehen Mutter oder Vater dem Arbeitsmarkt wieder zur Verfügung.

Kleine Kinder sind in dieser Perspektive volkswirtschaftliche Produktivitätsbremsen, ja Renditekiller.

Dass die Erziehung im Elternhaus aber für das Kindswohl in aller Regel das Beste ist, dass das wechselnde Fachpersonal in der Kita nur eine ungleich schwächere emotionale Bindung und Beheimatung aufbauen kann, steht außer Frage. Sowohl die Hirn- als auch die Bildungsforschung sind da eindeutig.

Der betreute Mensch ist der abhängige Mensch

Damit wären wir beim entscheidenden Punkt, den auch die Befürworter des Betreuungsgeldes leider nicht benennen:

Wer Kinder – sei es zu Hause, sei es in der Tagesstätte – zu Objekten der Betreuung erklärt, hält sie nicht nur sprachlich in Unmündigkeit gefangen. Kinder haben ein Anrecht auf Liebe, Geborgenheit und Erziehung, nicht auf Betreuung.
Der betreute Mensch ist der ohnmächtige, der abhängige Mensch.

Dieser Zusammenhang gilt grundsätzlich, wenn von Betreuungsangeboten die Rede ist.
Dahinter verbirgt sich die Verzifferung der Welt, die Verwandlung von Menschen in Kostenstellen.”

Quelle und Fortsetzung des Artikels hier: http://www.focus.de/politik/deutschland/kisslers-konter/kisslers-konter-stoppt-die-betreuungsindustrie_aid_733196.html