Donnerstag, 5. Januar 2012

Gespräch mit Armin Eckermann von „Schulunterricht zu Hause e.V.“ über Perspektiven für das Erziehungsrecht der Eltern nach dem Urteil von Münster

Kultur und Medien: Das Oberverwaltungsgericht Münster hat religiöse Gründe zur Verweigerung eines Filmbesuchs im Rahmen einer Schulveranstaltung gelten lassen. Was bedeutet das für die vielen anderen Fällen solcher Art? Gibt es neue Hoffnungen?

Rechtsanwalt Armin Eckermann: Natürlich gibt die Entscheidung des OVG Münster, die uns in der Pressemitteilung vorliegt, neue Hoffnung, dass das Grund- und Menschenrecht der Glaubens- und Gewissensfreiheit (Art 4 GG) in Verbindung mit dem elterlichen Erziehungsrecht (Art 6 II Satz 1 GG) wieder mehr Beachtung bei Schulbehörden und Gerichten findet. Die Entscheidung wirkt der Tendenz entgegen, die staatliche Schule als einen grundrechtsfreien Raum anzusehen, in dem die Schulverwaltung (Schulleitung und Schulbehörden) das ausschließliche Sagen hat und Gewissensentscheidungen des Einzelnen Mehrheitsbeschlüssen (z.B. Schulkonferenzbeschlüssen) unterordnet.

Was bewirkt die Entscheidung aus Münster hinsichtlich des äußerst enttäuschenden Urteils des Europäischen Gerichtshofes im Sommer 2011 zur der Befreiung des Schulsexualunterrichts?

Sie könnte und sollte bewirken, dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte von einer politisch erwünschten Entscheidungsfindung zurück zu einer an Gesetz und Recht orientierten Rechtsprechung findet.

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hatte in der von Ihnen angesprochenen Entscheidung die in dem Theaterprojekt „Mein Körper gehört mir!“ vertretene ausschließlich atheistische und normenlose, staatliche Sexualerziehung für „objektiv, kritisch und pluralistisch“ gehalten und damit eine Verletzung der Glaubensüberzeugung der Eltern ausgeschlossen.

Im Fall von Münster ging es um Spiritismus und Magie im Film „Krabat“. Lässt sich das Urteil auf andere Bereiche übertragen, wie etwa die Schulsexualerziehung, was vor allem christlichen Eltern ein Dorn im Auge ist, oder der Sportunterrichtbesuch, der von manchen muslimischen Eltern abgelehnt wird?

Die Entscheidung ist in allen Konfliktfällen zwischen elterlichem Erziehungsrecht (Art 6 II Satz 1 GG i.V.m. Art 4 I und II GG) und staatlichem Bildungs- und Erziehungsauftrag (entwickelt durch die Rechtsprechung aus Art 7 I GG) anzuwenden. Sie demonstriert lehrbuchhaft, wie ein Konflikt sich widerstreitender Grundrechtspositionen im Wege der praktischen Konkordanz, also im behutsamen Ausgleich nach der herrschenden Meinung in Rechtsprechung und Lehre, zu lösen ist.

Wären Schulbehörden und Gerichte in der Vergangenheit in gleicher Weise vorgegangen wie jetzt das OVG Münster, anstatt sich von ihrer eigenen Ethik und Moral und der Mehrheitsmeinung leiten zu lassen, sondern von der ernsthaften Glaubensüberzeugung der Eltern und Schüler, wären dem OVG Münster entsprechende Entscheidungen auch im Bereich der Sexualerziehung und des Sportes ergangen.

Gibt es manche Hoffnung in der Politik, oder bleit der Gerichtsweg zur Zeit die einzig gangbare Alternative?

Hoffnung besteht auf beiden Ebenen, in der Politik und auf dem Gerichtsweg.

Der Konflikt zwischen elterlichem Erziehungsrecht und staatlichem Erziehungsauftrag wird in den letzten Jahren in den Medien und auch in der Politik ernster genommen. Der Trend zur Privatschule und die Abwanderung von Familien ins Ausland nur wegen der zwangsbewehrten Schulsituation in Deutschland lässt ein Umdenken erkennen. Politiker beginnen sich inzwischen auch für Alternativen zur Schulbesuchspflicht zu interessieren. So rückt die Haus- und Fernunterrichtung von Schulpflichtigen in den Focus der Politik.

In der Rechtsprechung wird das Erziehungsrecht, das nach dem Grundgesetz den Eltern „zuvörderst“ zusteht, als gleichrangig gegenüber dem staatlichen Bildungs- und Erziehungsauftrag angesehen.

Die Entscheidung des OVG Münster beachtet die Gleichrangigkeit und wirkt der Vorrangstellung, die dem staatlichen Erziehungsauftrag gegenüber dem Elternrecht in vielen Gerichtsentscheidungen der letzten Jahre rechtswidrig eingeräumt wurde, entgegen. Die Entscheidung des OVG Münster stärkt die Rechte der Eltern in Schulen, bei Schulbehörden, in der Politik und bei den Gerichten. Echte Gleichrangigkeit besteht aber erst dann, wenn Eltern die Freiheit haben, ihre Kinder in die Schule zu schicken o d e r zu Hause zu unterrichten.

Rechtsanwalt Armin Eckermann ist Vorsitzender des Vereins "Schulunterricht zu Hause e.V." mit Sitz in Dreieich bei Frankfurt am Main