Sonntag, 1. Mai 2011

Die Schäden der Sexualisierung für Mensch und Gesellschaft – neueste wissenschaftliche Ergebnisse

Mathias von Gersdorff

Der katholische Verlag “Edizioni San Paolo” hat einen wertvollen Sammelband mit Beiträgen über die jüngsten wissenschaftlichen Ergebnisse der Sexualisierung durch die Medien mit besonderer Berücksichtigung des Internets herausgebracht. Zu diesem Problemfeld gab es in den letzten Jahren viele umfangreiche Untersuchungen, die belegen, daß die von der Pornographie verursachten Schäden viel größer sind, als bislang angenommen. Stärker im Focus der Analysen steht nun auch das Internet, das nicht nur als neues Medium zu den schon länger existierenden hinzugekommen ist, sondern auch völlig neue Wege hin zur Pornographiesucht und sonstige pathologische Sexualverhalten geöffnet hat. Durch das Internet geraten immer mehr Menschen zu einer wahren Pornographie-Hölle.

Daniele Mugnaini zeigt auf, wie aufgrund der Sexualisierung durch die Medien die Einstellung von Jugendlichen ihren eigenen Körper gegenüber sich ändert. Der Körper wäre zunehmend wie ein Instrument wahrgenommen, sexuell anziehend zu wirken und dadurch den eigenen sozialen Status zu erhöhen. Der Körper würde gar nicht mehr wie ein Bestandteil der eigenen Identität empfunden sondern wie eine fremde Sache, die man sich aneignet um damit eine Wirkung zu erzielen, etwa wie man ein besonders teuren Wagen fährt, um Eindruck zu machen. Die Medien vermitteln Kindern und Jugendlichen, daß sie permanent ihren Körper zur Schau stellen müssen und ihre gesamten persönlichen Beziehungen unter dem Aspekt der sexuellen Anziehung gestalten sollen, was früher oder später zu einer Entfremdung mit der eigenen Persönlichkeit führt. Kinder und Jugendlichen unterziehen sich einer Art Gehirnwäsche durch die Medien und machen sich zu reinen Sexualobjekten, ohne eigentliche Persönlichkeit, ohne Lebenslauf, ohne Beziehungen, die jenseits der Sexualität existieren. Je jünger die Kinder sind, desto tiefer sind diese Schäden, weil Kinder bis zu einem gewissen Alter nicht wirklich zwischen Realität und Phantasie unterscheiden können. Das Kind übernimmt sexualisierte Verhaltensformen, ohne sie richtig einordnen zu können, ohne genau zu wissen, was sie bedeuten und wohin sie führen. Vor allem kann ein Kind hinsichtlich der Sexualität noch keine komplexen moralischen Urteile fällen und die Sexualität ethisch korrekt und für sein Alter angemessen emotional in seine Persönlichkeit einordnen. Dies ist fatal, denn erst ab einem gewissen Alter ist das Kind oder der Jugendliche wirklich in der Lage, „gegen den Strom zu schwimmen“, wenn er erkennt, daß etwas falsch und für ihn schädlich ist. Die Person wird mit der Zeit unfähig, persönliche Beziehungen einzugehen, da sie in den anderen Menschen keine Personen, sondern Objekte – wie sie selbst – sieht.

Gewissermaßen gerät das Individuum in eine Art Autismus, da es alles Zwischenmenschliche auf die Sexualität reduziert. Da der Mensch aber viel mehr als das ist, kann die durch und durch sexualisierte Person nicht an den Kern des anderen herankommen und somit keine normale emotionale Beziehung eingehen. Er kann das schon allein deshalb nicht, weil er sich selbst ja nur als ein Sexualobjekt wahrnimmt. Mit zunehmenden Alter ist aber ein solcher Mensch auch nicht richtig in der Lage, Beziehungen einzugehen, die primär das Sexuelle anstreben, da – wie die moderne Sexologie herausgefunden hat – die Sexualität irgendwann keine Befriedigung bietet, wenn sie völlig losgelöst von anderen emotionalen Dimensionen existiert, etwa wie ein Auto, das zwar sehr schnell fahren kann, doch das kein Lenkrad hat, mit dem man eine Richtung wählen könnte.

Der leichte Zugang zur Pornographie via Internet hat dazu geführt, daß immer jüngere Menschen mit Pornographie in Berührung kommen und für sie dadurch unmoralische Verhaltensweisen zunehmend zur Normalität werden einhergehend mit einer geringeren Wertschätzung für Ehe und Elternschaft. Die Folge davon ist ein verantwortungsloses Sexualleben. Statistische Erhebungen deuten darauf hin, daß pornographiekonsumierende Kinder schneller Sexualpartner wechseln und häufiger Alkohol oder andere Drogen beim Geschlechtsverkehr konsumieren. Letzteres ist ein Hinweis, daß Pornographie die Wahrnehmung der Geschlechtskraft selbst verzerrt und deshalb Rauschmittel erforderlich werden.

Ein Mensch, der unter normalen Bedingungen aufwächst, beginnt sich irgendwann für das andere Geschlecht zu interessieren. Dieses Interesse konzentriert sich aber nicht auf das rein Sexuelle, sondern betrifft die gesamte Persönlichkeit des anderen und das gesamte emotionale Leben. Wer aber Pornographie konsumiert hat, hat sein emotionales Leben weitgehend mit pornographischen Bildern und Videos geformt, wodurch er nicht nur zu normalen Beziehungen unfähig ist, sondern auch die Wahrnehmung des rein Sexuellen im anderen ist völlig deformiert, da Pornographie nicht nur eine groteske und geradezu bestialische Darstellung von Sexualität ist, sondern auch eine völlig unrealistische. Diese grotesken Bilder prägen aber die Phantasie und die Sensibilität des Pornographie-Opfers.

Wird aber die Fähigkeit, komplexe emotionale Sachverhalte zu erfassen, zerstört, leidet nicht nur die Beziehungsfähigkeit zu anderen Menschen, sondern die Wahrnehmungsfähigkeit der Realität und die Lernfähigkeit schlechthin. Das abstrakte Denken wird erschwert und das Lernen auf der Basis konkreter Erfahrungen bevorzugt.

Auch der Wille wird geschwächt. Nicht nur, weil ein Pornographiekonsument große Schwierigkeiten haben wird, sich komplexen Wertesystemen unterzuordnen, sondern auch, weil seine innere Wertearchitektur wesentlich von der Pornographie geprägt wurde, die ihm suggeriert, sozialer Status sei nur über den Weg der sexuellen Anziehung erreichbar. Der Mensch begibt sich im Grunde genommen in eine psychische Prostitution, in eine rein materialistische Anthropologie und Weltanschauung. Dann wird aber das Sexualleben bloß vom tierischen Verlangen gesteuert und strebt die Inbesitznahme des anderen an – der andere wird zur Sache degradiert, er wird entpersonalisiert. Da aber ein solches Leben völlig der wahren Natur des Menschen widerspricht, kann dies zu Frustration, innerer Isolation und somit zu hohem Konsum von Rauschgift oder Alkohol führen.

Der Pornographiekonsum kann auch zu einer Spaltung der Persönlichkeit und anderen Persönlichkeitsschäden führen, da sich die Person freiwillig in eine Phantasiewelt begibt, die ihn fesselt. Dies kann dazu führen, daß sich der Konsument von Internetsexualität für „reale“ Sexualität kaum oder wenig interessiert und insgesamt seine Unterscheidungsfähigkeit zwischen Realität und Phantasie leidet – er führt dann ein regelrechtes Doppelleben. Bei einem Kind hemmt Pornographie die Entwicklung hin zu einem erwachsenen Menschen. Die pornographischen Bilder fesseln ihn derart, daß Interessen, die er normalerweise hätte oder entwickeln müßte, verkümmert bleiben. Hinzu kommen Schuld- und Minderwertigkeitskomplexe. All dies hemmt die Fähigkeit, sich selbst und die Welt zu verstehen. Der Pornographiekonsument kann sich bloß auf das Aktuelle, auf das, was ihm einen sofortigen Genuß verschafft, konzentrieren.

Daniele Mugnaini beschreibt mehrere Teufelskreise, in die der Pornographiekonsument gerät. Zum einen ist die graduelle Zerstörung des moralischen Empfindens zu nennen, wodurch er sich zu immer schlimmeren Formen von Pornographie öffnet, bis hin zur Kinderpornographie. Die Brutalisierung des emotionalen Lebens macht den Pornographiekonsument immer aggressiver und gewaltbereiter. Der Pornographiekonsument wird ebenso zunehmend labiler gegenüber sozialem Druck: Oft geraten diese Menschen auf die falsche Bahn aufgrund schlechter Freundschaften und Bekanntschaften, die ihn dann immer tiefer in die Pornographie-Hölle ziehen.

Die Autoren Tonino Cantelmi und Emiliano Lambiase behandeln tiefer die Schäden der Internetpornographie, kommen jedoch zu ähnlichen Ergebnissen wie Mugnaini: Unfähigkeit, das eigene Sexualverhalten zu kontrollieren; Unfähigkeit, die eigene Phantasie zu kontrollieren; Entwicklungsstörungen der Phantasie; getrübte Vernunft; Unehrlichkeit mit sich selbst und mit anderen; Persönlichkeitsstörungen; Bindungsunfähigkeit; Verlust des Selbstwertgefühles, Angstzustände, Minderwertigkeitskomplexe usw.

„Erosi dai Media - Le trappole dell´ipersessualizzazione moderna“ (Deutsch etwa “Erodiert durch moderne Medien Fallen der Hypersexualisierung) von Daniele Mugnaini, Tonino Cantelmi, Emiliano Lambiase und Setefano Lassi. Edizioni San Paolo, Cinisello Balsamo (Mailand) 2011