Sonntag, 15. Mai 2011

Buchbesprechung: Hanne K. Götze: Kinder brauchen Mütter – Die Risiken der Krippenbetreuung


Empört vom Vorhaben der Großen Koalition, das Angebot an Krippenplätzen flächendeckend auszubauen, hat sich Hanne Götze dazu entschlossen, über ihre Beobachtungen und Erfahrungen als Mutter aus der Realität der Kinderkrippen in der untergegangenen DDR in ihrem Buch „Kinder brauchen Mütter“ zu berichten. Für sie ist diese Politik die „bitterste „Pille“ der Entwicklung nach der Wende“. Götze ging fest davon aus, daß die Krippen verschwinden würden, daß aber gerade die Christdemokraten den Ausbau energisch vorantreibt und sogar das letzte Kindergartenjahr zur Pflicht machen würden, ist für die Autorin geradezu ein Schock.

Die Diplombibliothekarin, Vollzeitmutter und Stillberaterin ist in der DDR aufgewachsen und wurde dort Mutter von vier Kindern. Als sie ansehen mußte, wie Babys, die im DDR-Krippensystem aufgezogen werden sollten, auf die Trennung ihrer Mütter reagierten, war für sie sofort klar, daß sie ihre eigenen Kinder nicht in die kommunistische Fremdbetreuung schicken würde. Panik, verzweifeltes Schreien, Streß kamen bei den Babys auf, als ihre Mütter sie in die Krippen brachten. Schlimmer noch war mit anzusehen, wie diese Kinder nach einiger Zeit schließlich resignierten und nur noch stumpf vor sich hinblickten. Aus ihren Augen waren die Freude und die kindliche Neugierde gewichen. Kinder verbrachten einen wichtigen Teil des Tages in einem apathischen Zustand.

Götzes Buch enthält sehr viele Erfahrungsberichte, eigene und fremde. Auch Erzieherinnen und sonstiges Krippenpersonal kommen zu Wort. Beispiel: „aus einer mittelgroßen Stadt Thüringens erlebte (Marion S. das furchtbare Schreien, als die Kinder in der Krippe abgegeben wurden) so: Sie hätte noch zu DDR-Zeiten mehrere Jahre lang mit ihren Eltern in einem Haus gewohnt, in dessen Erdgeschoß eine Krippe untergebracht war: Jeden Morgen um 6 Uhr hätte dieses furchtbare Schreien begonnen. Es sei so schrecklich gewesen, dass sie sich geschworen hätte, niemals ein so kleines Kind wegzugeben. Wenn sie selbst einmal Kinder bekäme.“

Einige Berichte in Götzes Buch könnten aus einem Horrorbuch stammen: „Eine andere Mutter erzählte, dass ihr kleiner Junge auf dem Weg zur Einrichtung im Kinderwagen bereits wimmerte: „Sittenbleiben, sittenbleiben!“ [Sitzenbleiben!] Dort angekommen, hätte er sich krampfhaft am Wagen festgehalten und sich steif gemacht. Mit seiner ganzen Kraft hätte er gegen das Unvermeidliche gekämpft. Eine Frau erzählte davon, dass sich ihr Kind regelrecht in die Polster des Kinderwagens verbissen hätte, wenn es morgens in die Krippe ging.“

Hanne K. Götzes Buch ist somit ein wichtiger Beitrag zur Debatte über den Sinn oder Unsinn des flächendeckenden Krippenausbaues, der seit der Großen Koalition zwischen Union und SPD (2005-2009) vorangetrieben wird und an dem Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen federführend war. Die Autorin erhebt nicht den Anspruch, eine wissenschaftliche Abhandlung zu liefern. Das Buch ist auch kein Ratgeber zur Kleinkindbetreuung. Wie der Name des Buches schon sagt, fokussiert sich die Autorin auf die Rolle der Beziehung der Mutter zu ihrem Baby und damit ist ihr Buch nicht nur ein wertvoller Beitrag für die Krippendebatte, sondern auch zur schon länger anhaltenden Diskussion über die richtige Erziehung angesichts zunehmender Anzahl von Problemkindern (Vgl. Achim Schad: Kinder brauchen mehr als Liebe; Michael Winterhoff: Warum unsere Kinder Tyrannen werden; Bernhard Bueb: Lob der Disziplin und viele andere)

Götze beläßt es nicht mit Erfahrungsberichten, sondern läßt die wissenschaftliche Literatur über die Bedeutung der Mutterbeziehung für die kindliche Persönlichkeitsentwicklung Revue passieren. Die Trennung des Kleinkindes von der Mutter ist ein ungeheurer Streßfaktor. Das Kind kann nicht einschätzen, was ihm geschieht, weil es noch kein Zeitempfinden besitzt, das Wegsein der Mutter wird als endgültig, als ewigen Fakt empfunden. Öfters wird der tschechische Krippenforscher Zdenek Matejcek (1922 – 2004) zitiert, der – noch während des Kommunismus – die Krippenerziehung unter die Lupe nahm und aufgrund seiner kritischen Beurteilungen die Regierung dieses Erziehungsprogramm abbaute. Matejcek spricht von „Separationsangst“. Die österreichische Psychologin Lieselotte Ahnert stellte in ihrer „Wiener Kinderkrippenstudie“ erste Zwischenergebnisse und konnte tatsächlich feststellen, daß der Anstieg des Streßhormones Cortisol (Cortisol hilft, den Streß zu bewältigen) aufgrund der Trennung der Kleinkinder von ihren Müttern erheblich sei: „Je jünger ein Kind sei, desto empfindlicher reagierte es auf Stress. Auch ein Kind, das sich sicher an seine Erzieherin gebunden fühle, bliebe davon nicht verschont. Die Expertin erklärt das so: „Die sichere Bindung in der Krippe ist etwas anderes als das Zuhause.“ Die Erzieherin sei emotional nicht immer verfügbar, sie müsse sich um mehrere Kinder gleichzeitig kümmern, habe Urlaub und fehle auch mal wegen Krankheit.

Die Hoffnung mancher Krippenbefürworter, die „soziale Kompetenz“ der Kinder würde steigen, erfüllt sich nicht, denn, Matejcek zitierend, das Kleinkind ist bis zu einem gewissen Alter noch ein Einzelwesen, das sich nicht auf andere einstellen könne. Die Trennung von der Mutter stürzt das Kind dann in ein Vakuum, es verliert seinen Bezugspunkt und gerät in Panik und kann erschreckend aggressiv werden.

Götzes Buch ist ein Plädoyer für die Wieder- und Neuentdeckung der Mütterlichkeit. Deshalb erwidert sie ausführlich die gängigen Mythen und Kritikpunkte gegen das Muttersein, wie etwa die mangelnde Selbstverwirklichung, die Gefahr der Verhätschelung der Kinder, die fehlende Gleichberechtigung usw. Auch geht sie mit den üblichen Begründungen für den Krippenausbau hart ins Gericht, wie etwa die Behauptung, Krippen würden die Geburtenrate erhöhen oder Krippen seien gut für sozial benachteiligte Kinder.