Montag, 25. April 2011

Wohin führt uns das Gender Mainstreaming?

Mathias von Gersdorff

Linke Intellektuelle können sich offenbar nicht von der Idee verabschieden, ein „Neuer Mensch“ sei möglich. Die Kommunistische Revolution hat versucht, einen solchen zu basteln, wie auch die 68er. Nun versucht man es erneut: Beim neuen Menschen soll es unerheblich sein, ob er männlich oder weiblich ist. Das biologische Geschlecht sei rein zufällig jedem einzelnen gegeben, bestehende Unterschiede zwischen Männern und Frauen seien bloß Folge von kulturellen Faktoren, also im Endeffekt willkürlich.

Die Techniken, die diesen neuen Menschen erschaffen sollen, werden unter dem nebulösen Begriff „Gender Mainstreaming“ subsumiert, ein Begriff, der selten übersetzt wird.

Der Eintritt in die Politik geschah auf der zweiten Weltfrauenkonferenz der Vereinten Nationen in Nairobi im Jahr 1985 statt. Dort wurde vereinbart, Frauen in den „Mainstream“ einzugliedern. Der Begriff „Gender Mainstreaming“ erscheint da zwar noch nicht, doch alle nachfolgenden Dokumente nehmen Bezug auf diese Weltfrauenkonferenz. Seit 1993 fordert die EU die Implementierung von Gender Mainstreaming Maßnahmen, um zum Empfang von finanziellen Mittel aus dem EU-Strukturfonds berechtigt zu sein. Der Europarat nimmt sich seit 1994 des Themas an. Bei der vierten Weltfrauenkonferenz der Vereinten Nationen in Peking im Jahr 1995 wurde eine Aktionsplattform verabschiedet. Dank dieser wird Gender Mainstreaming zur neuen weltweiten Strategie des Feminismus. Schon im Februar 1996 verpflichten sich die EU-Kommission und damit die EU zur Strategie des Gender Mainstreamings. Seitdem erlebt sie einen wahren Siegszug in Europa. 1999 wird sie im Amsterdamer Vertrag verankert, infolgedessen sie mit den Jahren Bestandteil nahezu aller politischer Felder wird.
Beschäftigt man sich mit EU- oder nationalen Richtlinien zur praktischen Umsetzung des „Gender Mainstreamings“, gewinnt man schnell den Eindruck, daß der Begriff bewußt schwammig gehalten wird. Oft wird er schlicht mit „Gleichberechtigung“ von Männern und Frauen gleichgesetzt, manchmal mit einer besseren „Vereinbarkeit von Beruf und Familie“ für Frauen. Diese Unklarheit ist gewollt, denn in der modernen Politik bevorzugt man Begriffe, die man entsprechend der Stimmung in der Öffentlichkeit beliebig verändern kann, wie etwa „soziale Gerechtigkeit“, „Nachhaltigkeit“ usw. Alles Begriffe, die alles oder nichts bedeuten können.

Beim Gender Mainstreaming ist es genauso, doch es geht um mehr als bloß um „Gleichberechtigung“ (auch ein Begriff, der alles und nichts bedeuten kann): Gender Mainstreaming will, daß man stets hinterfragt, ob ein „diskriminierendes“ Verhalten vorliegt, ob nach ungerechtfertigten, willkürlichen Stereotypen gehandelt wird, ob geschlechtsspezifische, kulturell entstandene Rollenbilder übernommen wurden.

Die fehlende Übersetzung wird meist damit begründet, daß dieser englische Begriff keine Entsprechung im Deutschen hat. Gender bezeichnet im Englischen das kulturelle oder das soziale Geschlecht, nicht das biologische – eine solche Unterscheidung wird in wenigen Sprachen gemacht.

Mainstream bzw. Mainstreaming bedeutet, daß etwas zur Normalität gehört, also der Norm entsprechend ist. Doch diese Norm ist – so die Denkart der Gender Mainstreaming Ideologen – eine kulturelle Erfindung. Was als „normal“ gilt, kann von Kultur zu Kultur völlig unterschiedlich sein. Aber hier ist damit nicht gemeint, daß in Deutschland das Essen von Bratwürsten als normal gilt und in Italien das Essen von Pizza. Nein, es geht hier um die Unterschiede der konkreten Lebensgestaltung von Männern und Frauen.

Eine Politik des Gender Mainstreamings, wie sie von den Vereinten Nationen, von der Europäischen Union und im Zuge dessen auch von den einzelnen Nationen implementiert wird, strebt somit an, die Unterschiede zwischen Mann und Frau, deren Ursprung als „kulturell“, als in den Bräuchen und Traditionen begründet sind, aufzulösen. Bis zum Ende gedacht, würde diese Politik zu einer völligen Gleichheit zwischen den Geschlechtern führen, und das biologische Geschlecht wäre so gut wie eine unerhebliche Eigenschaft eines Menschen und hätte keine größere Bedeutung, als den Unterschied in der Haarfarbe.

Was steckt dahinter, was sind die ideologischen Hintergründe des Gender Mainstreamings?

Das Gender Mainstreaming speist sich aus mehreren Quellen.

a) Judith Butler und die Queer Theory

Nachdem die Feministische Bewegung, die im Westen im Zuge der 1968er-Bewegung entstanden ist, in den 1970er und 1980er Jahren erhebliche Erfolge erreichen konnte, insbesondere die fast weltweite Freigabe der Abtreibung, geriet sie ins Stocken und konnte keine neuen Ansätze auf der Basis der Idee eines Klassenkampfes zwischen den Geschlechtern entwickeln.

Dieser Feminismus, der die Muster des Marxismus für seine gesellschaftspolitischen Kämpfe übernommen hatte, geriet zunehmend in Kritik: Zu sehr würde man auf die Unterschiede zwischen den Geschlechtern absehen. Dies würde dazu führen, daß die Unterschiede zwischen Männern und Frauen sogar noch stärker betont würden als früher. Diese Feministen würden sich in der Tat so verhalten, als ob sie gar kein Geschlecht hätten und sich dem der Männer erkämpfen müßten, etwa so wie die Proletarier in der kommunistischen Revolution sich den Besitz am Kapital erkämpfen müßten. Die Norm blieb der Mann und es galt, die Frau zu vermännlichen.

Die Polarität zwischen Mann und (diskriminierte und unterjochte) Frau sollte vielmehr überwunden werden: Das Geschlecht sollte als Faktor in den zwischenmenschlichen Beziehungen und im Aufbau einer „gerechten“ Gesellschaft keine Rolle mehr spielen.

Einflußreichste Vertreterin dieses Ansatzes ist Judith Butler. Sie rief in ihrem Buch „Gender Trouble - Feminism and the subversion of identity“ aus dem Jahr 1990 zu einer „Verwirrung der Geschlechter“ (Gender Trouble) auf, zur bewußten und aktiven Verwischung der Unterschiede zwischen den Geschlechtern, etwa, wie das in den Homosexuellen Paraden am „Christopher Street Day“ geschieht. Gleich am Anfang des ersten Kapitels schreibt sie: „Die feministische Theorie ist zum größten Teil davon ausgegangen, daß eine vorgegebene Identität existiert, die durch die Kategorie „Frau(en)“ bezeichnet wird.“ Dann folgt ein konfuser Text mit Sätzen wie: „Wenn die jeweilige Kultur, die die Geschlechtsidentität „konstruiert“, nach Maßgabe des Gesetzes (oder eines Ensembles von Gesetzen) (damit sind Machtstrukturen gemeint, Anm. d. Red.) begriffen wird, ist die Geschlechtsidentität ebenso determiniert und festgelegt wie nach der Formel „Biologie ist Schicksal“. Nur hätte die Kultur an Stelle der Biologie die Rolle des Schicksals eingenommen. Dagegen behauptet Simone de Beauvoir in ihrem Buch „Das andere Geschlecht (orig. Le deuxieme Sexe): „Man kommt nicht als Frau zur Welt, sondern wird es.“

b) Identität, bzw. ihre Dekonstruktion

Die Sichtweise der Queer Theory bzw. Judith Butlers führt zwangsläufig zur Frage, was denn Identität überhaupt sei, bzw., welche Bedeutung das Geschlecht für die Identitätsbildung überhaupt hat. Falls das Geschlecht überhaupt wichtig ist, hat diese Wichtigkeit bloß einen kulturellen Ursprung? Ist das Geschlecht essentiell für die Bildung von Identität?

Diese Frage ist nicht nur wegen des Gender Maistreamings oder der Queer Theory in Mode gekommen, sondern ist überhaupt eines der Lieblingsthemen in der Psychologie der letzten 10 bis 20 Jahre. Man erfand Begriffe wie „Identitätskonstruktion“, „Patchwork der Identität“, „Identitätsformationen“ usw.

Einigen Vertretern `der Homosexuellen- und Transgender-Lobby liefern diese theoretischen Ansätze die Argumente für ihre politische Arbeit: Wenn die Identität keine eindeutig definierte Sache ist, so ist sie das auch hinsichtlich des Geschlechtes nicht. Der Mensch würde vielmehr in einem Fluidum, einem Kontinuum von Geschlechtsformen leben, die die Form einer „totalen“ Weiblichkeit bis zu einer „totalen“ Männlichkeit annehmen können.

Die Literatur hierzu ist vielfältig und laufend erscheinen neue Titel. Um nur ein paar weitere zu nennen: Luce Irigaray: Ce sexe qui n'en est pas un (This sex which is not one) (1977), Monique Wittig: One ist not born a Woman, Michel Dorais: L´eloge de la diversité sexuelle, Michel Foucault: Histoire de la sexualité – la volonté de savoir und viele andere mehr.
Gender Mainstreaming übernimmt diesen Gedanken auch und geht daran, eine Dekonstruktion der Identität vorzunehmen, zumindest der geschlechtsspezifischen Identität.

c) Marxismus und Postmarxismus von Marcuse

Triebkraft dieser revolutionären Politik, die die volle Gleichheit zwischen den Geschlechtern erreichen will, ist die Vorstellung, daß jegliche Ungleichheit zu einer Hierarchisierung der Menschen und dies wiederum zu Unterwerfung und Ausbeutung führen. Und damit kommen wir zur dritten Quelle, aus der das Gender Mainstreaming ihre Nahrung nimmt: Die Marxistische und Postmarxistische Lehre.

Der klassische Kommunismus, der gepaart mit den Lehren Freund in den 1960er Jahren entstand und zur 1968er Revolution führte, machte nie ein Hehl daraus, daß er die „bürgerlich-kapitalistischen Machtstrukturen“ beseitigen wollte. Ehe und Familie sind nichts anderes als Produkte dieses Machtgefüges, das nur dazu dienen soll, die Macht des Kapitals aufrecht zu erhalten. Dementsprechend muß die Jugend möglichst sexualisiert, alternative Partnerschaftsformen favorisiert und die Kinder möglichst früh aus der Obhut der Eltern entfernt werden.

Das Bild, das diese Revolutionäre, aber auch die Gender-Mainstreaming-Revolutionäre, vom Menschen haben, ist im Grunde genommen äußerst pessimistisch. Ohne Einwirkung der Staatsmacht, ohne Beschneidung der Freiheit, wird jeder Mensch zwangsläufig, als ob das ein Naturgesetz wäre, danach trachten, die anderen zu knechten, zu versklaven. Dies kann nur überwunden werden, wenn man einen „neuen Menschen“ schafft.

Der Mensch läßt sich aber nicht ohne weiteres ändern. Aus diesem Grund führten all diese Versuche zu Diktaturen und letztendlich zu Massenmorden, da man nur durch die Beseitigung der Abweichler sich in der Lage sah, die erhoffte „Heile Welt“ aufzubauen.

Das Gender Mainstreaming - mit seinen utopischen Zielen - wird auch scheitern. Falls nicht auf einem seichten Wege - weil unsere Politiker irgendwann einsehen, daß das nicht funktioniert –, eben durch die harte Tour des Zusammenbruchs und der Katastrophe, die die notwendige Folge der Implementierung von widernatürlichen Utopien sind.