Donnerstag, 23. September 2010

Schule als Ort der Integration: Was sagen die Eltern dazu?

Mathias von Gersdorff

Seit Beginn der neuen Integrationsdebatte überstürzen sich viele Politiker mit der Aussage, die Integration von Zuwanderern oder Personen mit Migrationshintergrund müsse verbessert werden. Dabei gibt es zwei Themenfelder, die stärker in den Fokus der Aufmerksamkeit gelangen: 1. Die Akzeptanz der deutschen Rechtsordnung und 2. Die Integration von Kindern und Jugendlichen in das deutsche Bildungssystem.

Im ersten Punkt herrscht weitgehend Konsens: Mittlerweile ist bei den Politikern angekommen, daß Teile der Zuwanderer mit türkischem, kurdischen, libanesischen oder arabischen Hintergrund Praktiken importieren, die völlig inakzeptabel sind. Das ist nicht allein der „Ehrenmord“, der schon in etlichen Büchern thematisiert wurde (Nourig Apfeld: Ich bin Zeugin: des Ehrenmords an meiner Schwester (2010), Seyran Ates: Der Multikulti-Irrtum (2008), Necla Kelek: Die fremde Braut (2006)), sondern auch die Zwangsheirat, die systematische Mißhandlung der Frauen, die Durchsetzung der Sharia in manchen muslimischen Milieus usw.

Insbesondere Seyran Ates wirft den linken Politikern und Ideologen vor, daß sie die Probleme nicht wahrhaben wollen und jahrzehntelang schlicht weggeschaut haben, weil ihr Traum von einer multikulturellen Gesellschaft dadurch bedroht wurde. Mittlerweile bekennen sich aufgrund des Druckes der Öffentlichen Meinung mehr und mehr Politiker zum Realismus und möchten konkrete Schritte unternehmen.

Schwieriger sieht es aus mit der sogenannten Integration der Kinder und Jugendlichen. Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) sprach von 10 – 15 % Jugendlichen, die integrationsunwillig seien. Doch nicht nur die Angehörigen dieser Gruppe sind problematisch. Es gibt auch viele Fälle, insbesondere in muslimischen Kreisen, die mental meilenweit entfernt vom modernen Deutschland sind. Deutsch können sie nur gebrochen sprechen, wenn überhaupt. Sie leben in sog. Parallelgesellschaften, aus denen sie überhaupt nicht in der Lage sind, zu entkommen, selbst wenn sie das subjektiv wollten.

Die Integration dieser Kinder und Jugendlichen soll – das ist die Vorstellung der Politiker – die Schule bzw. das Bildungssystem vollbringen. Viele Politiker fordern eine Kindergartenpflicht, manche sogar eine Vorkindergartenpflicht. Auf diesem Wege soll gewährleistet werden, daß die Kinder Deutsch lernen, da man oft nicht davon ausgehen kann, daß sich das Elternhaus darum kümmert. Die Schule soll ebenfalls entschlossen gegen die sprachlichen Defizite sowie gegen die mangelnde soziale und kulturelle Integration vorgehen.

Überhaupt soll das Bildungssystem den Einfluß des Elternhauses reduzieren, da dieses sehr oft als das Haupthindernis für eine geglückte Integration angesehen wird, insbesondere bei Mädchen. Die Familie, im Falle der Türken und der Kurden die Großfamilie, soll einen so großen Einfluß auf die Einzelnen ausüben, daß eine Integration nicht gelingen kann, sofern sich diese Menschen mental noch in einer reinen Agrargesellschaft befinden, wie das oft bei Einwanderern aus Gegenden wie Ostanatolien der Fall ist.

Unsere Politiker setzen voll auf das Bildungssystem, insbesondere auf die Schule, um die Integrationsprobleme zu lösen. Ist das eigentlich realistisch? Ist die Schule überhaupt dafür da? Was meinen die Eltern dazu? Werden Sie überhaupt befragt werden?

In Hamburg wurden sie nicht befragt, doch sie haben sich dann selber Gehör verschafft und eine Volksbefragung zur geplanten Schulreform durchgesetzt. Diese bestand im wesentlichen daraus, die vierjährige Grundschule zu einer sechsjährigen Primarschule auszudehnen, d.h. Kinder sollten länger „gemeinsam lernen“. Ausdrückliches Ziel war die Förderung der (sozialen) Integration. Rein theoretisch ging es nicht um die Integration von Zuwanderern, sondern um die Integration von sozial Schwachen, doch diese sind häufig Menschen mit Migrationshintergrund. Soziale und ethnische bzw. kulturelle Integration lassen sich kaum trennen.

Bekanntlich gewannen die Gegner der Schulreform die Volksabstimmung. Bei einer Wahlbeteiligung von 39 Prozent lehnten 54,5 % der stimmabgebenden Hamburger Bürger die Einführung der sechsjährigen Primarschule ab bzw. 58 % stimmten der Vorlage des Begehrens der Initiative zu.

Die linke Presse war empört. Die linksalternative taz, die sich ursprünglich für Basisdemokratie eingesetzt hat, kommentierte, daß sich eine lautstarke Minderheit von Privilegierten durchgesetzt hätte. Das Resultat sei irrational. Im Grunde genommen wird damit behauptet, daß das Ergebnis keine demokratische Legitimation hätte. Das „Neue Deutschland“ schrieb tatsächlich: „Der Plebiszit, der einst als Emanzipation des Bürgers von der Macht der Parteien gefeiert wurde, könnte sich ins Gegenteil verkehren: Demokratie als Herrschaft der Stimmgewaltigeren“. Harter Tobak. Demokratie scheint nur dann zu funktionieren, wenn sie Resultate hervorbringt, die den Wünschen der Linken entsprechen.

Einmal mehr wird allzu deutlich, daß für die Linken die Schule kein Ort ist, an dem Kinder und Jugendliche lernen sollen. Vielmehr ist die Schule für sie ein Laboratorium für soziologische Experimente. Die Hamburger Bürger machten diesem Ansinnen einen deutlichen Strich durch die Rechnung.

Interessanterweise äußerten mehrere linke Zeitungen aus Berlin Verständnis für die reformunwilligen Hamburger. Berlin hatte die sechsjährige Grundschule bereits früher eingeführt, so daß sie gut damit vertraut waren und die Erfolge und Mißerfolge schon kannten. So schrieb beispielsweise die „Berliner Zeitung“ am 20. Juli 2010: „Mit der Einführung der sechsjährigen Primarschule wäre kein Problem aus der Welt. Man sieht es am Beispiel Berlin, wo es diese Grundschule längst gibt. Sie lässt zwar Schülern und Lehrern etwas mehr Zeit zur Entscheidung über die weiterführende Schule, aber sie löst keine sozialen Probleme. Wo sich sogenannte Bildungsferne und Migrantenkinder mit schlechten Deutschkenntnissen konzentrieren, bleibt der einfachste Unterricht eine Herausforderung. . . . Die Erfahrung zeigt, dass zwar einzelne leistungsstarke Kinder auf eine Klasse positiv wirken und andere anspornen können. Aber allzu oft ist es anders herum. Eine kleine Gruppe von Störern macht den Unterricht für alle fast unmöglich. Die "Streber" ziehen bei erstbester Gelegenheit zum Gymnasium weiter. Längeres gemeinsames Lernen setzt eine neue Strategie und ganz andere Kräfte voraus. Viele Eltern - nicht nur in Hamburg - zweifeln zu Recht daran, dass so etwas wirklich gewollt ist.“

Der liberale „Tagesspiegel“ vom 20. Juli 2010, ebenfalls aus Berlin, wird noch deutlicher: „Es klang ja auch zu gut: Kinder aus Ausländerfamilien und sozial schwachen Familien lernen gemeinsam und länger mit Kindern aus bildungsnahen Schichten. Das schafft Gerechtigkeit. Doch erstens ist das nicht erwiesen und zweitens ist Gerechtigkeit kein Nullsummenspiel. Wovon man hofft, dass es den einen nützt, könnte den anderen schaden. Die Schule darf nicht der Ort werden, an dem Integrationsdefizite und soziale Defizite zulasten unserer Kinder ausgeglichen werden, wandte das Bürgertum ein – und obsiegte über den frommen Wunsch. Denn das Wohl seines Kindes ist dem Bürger heiliger denn je.“

Die linke „Frankfurter Rundschau“ vom 20. Juli 2010, die wegen des Scheiterns der Reform vor Wut schäumte, interviewte den grünen Oberbürgermeister von Tübingen, Boris Palmer. Erstaunlicherweise gab er folgendes zu bemerken: „Ich schätze aber, daß auch viele Grünen-Wähler gegen die Reform votierten. Sie sind zwar abstrakt für ein gerechtes Bildungssystem, aber ihr eigenes Kind schicken sie doch lieber aufs Gymnasium“.

Ähnlich argumentierte die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“, als sie die Reaktionen der SPD-Basis in der Polemik um das Buch von Thilo Sarrazin kommentierte: „Mit einem gewissen Neid blicken Parteifunktionäre auf die Grünen, die wider alle Empirie an ihren überlieferten Vorstellungen über die multikulturelle Gesellschaft festhalten können, weil ihre Anhängerschaft gegenüber Überfremdungsängsten immun scheint: Wer jung ist und grün, der genießt die Wasserpfeife in der alkoholfreien Shisha-Bar in Kreuzberg. Wer älter wird, zieht in den hippen Stadtteil Prenzlauer Berg und schickt seine Kinder auf Schulen, auf denen deutsch gesprochen wird. So ist Multikulti möglich. An der SPD-Basis sieht die Wirklichkeit vielfach anders aus. Mit den Einwandererfamilien der ersten und zweiten Generation ging man gemeinsam für die 35-Stunden-Woche auf die Straße. Vertreter der dritten und vierten Generation beschimpfen aber bisweilen deren Töchter, wenn sie im bauchfreien T-Shirt den Dönerladen betreten. Und einen Umzug nach Charlottenburg lässt der Geldbeutel nicht zu. So ist Multikulti nicht möglich. Die „progressive“ SPD, die es immer schon schwer hatte mit ihrer Basis, muss nun ein weiteres Kapitel ihrer Vergangenheit bewältigen.“

Mit den Bemühungen, die Schule zum Integrationsort schlechthin zu machen, könnten sich unsere Politiker mächtige Probleme ins Haus holen. Die Hamburger Revolte vom Juli 2010 könnte sich dann leicht in ganz Deutschland ausbreiten.