Donnerstag, 19. November 2009

Zum Urteil des Europäischen Gerichtshofes: Wieso wir das Kreuz in der Öffentlichkeit verteidigen müssen


Der deutsche Staat ist wertneutral, aber nicht wertfrei

Mathias von Gersdorff

Es besteht keine Staatskirche in Deutschland. Die Deutsche Verfassung vom 11. August 1919, die sogenannte Weimarer Verfassung, definiert im Artikel 137, daß es in Deutschland keine Staatskirche gibt.

1919 wurde in Deutschland die Staatskirche abgeschafft. Welche Konsequenzen ergeben sich daraus im Zusammenhang mit der Behandlung von religiösen Symbolen in der Öffentlichkeit? Muß nun der Staat christliche Symbole aus staatlichen Einrichtungen entfernen? Darf ein Staat ohne Staatskirche nicht eingreifen, weil beispielsweise Blasphemie die Religion beschimpft?

Das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland steht in dieser Hinsicht in der Tradition der Weimarer Verfassung und sieht auch die Trennung zwischen Kirche und Staat vor. Die Väter des Grundgesetzes wollten nicht die religiös-weltanschauliche Neutralität des Staates abschaffen, die durch die Weimarer Reichsverfassung vom Jahre 1919 verankert wurde. Der deutsche Staat sollte weiterhin keine Staatskirche haben. Aber die Beibehaltung der religiös-weltanschaulichen Neutralität des Staates bedeutete nicht eine Wertfreiheit der staatlichen Ordnung!

Weil der Abfall von Gott während des Dritten Reiches so verheerende Folgen hatte, vor allem die schrankenlose Machtausdehnung des Staatsapparates, sollten die Grundwerte des Menschen wieder stärker in den Mittelpunkt des politischen Denkens und Handelns rücken. Grundwerte des Menschen stehen deshalb im Mittelpunkt des Grundgesetzes. Dieser Gedanke verwirklicht sich im Grundgesetz an verschiedenen Stellen.

So heißt es in der Präambel: „Im Bewußtsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen, ...“ In Artikel 1 (Menschenwürde, Grundrechtsbindung der staatlichen Gewalt), Abs. 1 steht: „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“. Absatz 2 desselben Artikels lautet: „Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.“ Auch zählt das Grundgesetz den Religionsunterricht unter die Grundrechte. Art. 7 Abs.3: „Der Religionsunterricht ist in den öffentlichen Schulen mit Ausnahme der bekenntnisfreien Schulen ordentliches Lehrfach. Unbeschadet des staatlichen Aufsichtsrechtes wird der Religionsunterricht in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaften erteilt.“ Die Väter des Grundgesetzes haben in Artikel 19, Abs. 2 erklärt: „In keinem Falle darf ein Grundrecht in seinem Wesensgehalt angetastet werden.“ Die Grundrechte sollten für immer gültig bleiben und vom Gesetz geschützt werden. Keine neue politische Konstellation, wie es im Jahre 1933 war, durfte sie einschränken.


Die Grundrechte sind dem Menschen durch seine Natur gegeben. Allein durch die Tatsache, daß eine Person ein Mensch ist, besitzt er diese Rechte, unabhängig von Rasse, Geschlecht usw. Sie werden ihm nicht durch die Gemeinschaft gegeben, er hat sie auch dann, wenn es keinen Staat und keine Gesellschaft gibt. Es gehören zu den Grundrechten das Recht auf Leben, das Recht auf Eigentum, das Recht auf Ehe und Familie usw.

Die Grundrechte schützen die Grundwerte des Menschen in der Gesellschaft durch die Rechtsordnung. So schützt das Recht auf Leben, das Leben des Menschen; das Recht auf Eigentum sein Privateigentum usw.

Damit die Grundrechte in der Gesellschaft anerkannt und respektiert werden, ist es noch nicht ausreichend, daß sie in der Verfassung verankert sind. Die Bevölkerung muß mit ihnen einverstanden sein und sie auch als Basis für das gesellschaftliche Zusammenleben annehmen.

In der Gesellschaft muß ein Konsens darüber herrschen, daß die Grundwerte zu achten sind! Der beste Gesetzgeber ist machtlos, wenn seine Entscheidungen nicht von der Bevölkerung getragen werden. Dafür ist es nicht notwendig, daß alle einverstanden sein müssen. Doch es ist notwendig, daß zumindest sehr viele Mitglieder der Gesellschaft die Entscheidungen des Gesetzgebers akzeptieren und sich ihnen fügen. Damit diese Verständigung existieren kann, muß es einen „Rahmen“, ein „System“ geben, über den nicht diskutiert wird. Die Mitglieder der Gesellschaft müssen sich allgemein einig sein, daß dieser „Rahmen“ oder dieses „System“ die Basis für den Dialog ist.

Als die Grundwerte des Menschen wieder in den Mittelpunkt des politischen Denkens und Handels rücken sollten, besannen sich die Väter des Grundgesetzes deshalb auf das Christentum, weil das Christentum auf Werten basiert, die ewig sind aufgrund ihres göttlichen Ursprunges. Deshalb befinden sich die Werte, die das Christentum hervorbringt, außerhalb des politischen Geschehens, welches von den herrschenden Machtverhältnissen und den zeitlichen Ereignissen bestimmt wird.

Der Staat hat höchstes Interesse, daß ein gesellschaftlicher Konsens hinsichtlich der Werte und Prinzipien, nach denen sich das öffentliche Leben orientiert, stabil und stark ist. Aus diesem Grund muß der Staat nicht nur daran interessiert sein, daß die Bürger diese Werte intellektuell nachvollziehen, sondern, daß sie auch in der Öffentlichkeit durch Symbole repräsentiert werden, so wie auch in der Öffentlichkeit die Symbole der Souveränität – beispielsweise die Nationalflagge und die Nationalhymne, präsent sind. Eine Öffentlichkeit ohne christliche Symbole – und das Kreuz ist das wichtigste und konfessionsübergreifendste christliche Symbol überhaupt – könnte den Sinn für die christlichen Werte und Prinzipien verlieren, was nur schädlich für das öffentliche Wohl sein kann.