Sonntag, 1. November 2009

Vortrag von Mathias von Gersdorff beim Kongreß „20 Jahre nach dem Fall des Kommunismus“ am 11. Oktober 2009 in Krakau (Auszug)


Der kommunistische Psychiater, Psychoanalytiker, Sexualforscher und Soziologe aus Österreich, Wilhelm Reich, schrieb in seinem Buch aus dem Jahr 1936 „Die Sexualität im Kulturkampf“ (neuaufgelegt als „Die sexuelle Revolution“), daß die Kommunistische Revolution ohne eine Sexuelle Revolution nicht zu machen sei. Und diese sollte insbesondere die Jugend revolutionsfähig machen: "Es ist also völlig klar: Sexuelle Freiheit der Jugend bedeutet den Untergang der Ehe (im Sinne der Zwangsehe), sexuelle Unterdrückung der Jugend soll sie ehefähig machen. Darauf reduziert sich letzten Endes die vielgenannte Formel von der "kulturellen" Bedeutung der Ehe und der jugendlichen "Sittlichkeit". Einzig aus diesen Gründen läßt sich die Frage der Ehe nicht ohne die der jugendlichen Sexualität und umgekehrt diskutieren" (S. 113); und später: "Die Neuordnung des geschlechtlichen Lebens muß mit der Umerziehung des Kindes anfangen" (S. 262).

Etliche Jahre danach (1955) hat der deutsche Soziologe und Philosoph, Herbert Marcuse, einer der wichtigsten Köpfe der sog. „Frankfurter Schule“, der Ideengeber der sog. 1968er Revolution, in seinem Buch „Eros and Civilization“ (deutsch: „Triebstruktur und Gesellschaft“) behauptet, die Sexuelle Emanzipation, zum Beispiel die Befreiung von familiären Strukturen würde zu einer gesellschaftlichen Revolution führen würde.

Wilhelm Reich wurde im Jahr 1897 geboren, Herbert Marcuse im Jahr 1898. Beide hatten also fast dasselbe Alter, arbeiteten aber für unterschiedliche Revolutionen. Reich war Kommunist, Marcuse lieferte mit „Eros and Civilization“ eines der Hauptbücher der 68er.


Doch beide sagten Ähnliches. Beide strebten eine umfassende Kulturrevolution an. Für beide war die Zerstörung der guten Sitten, der christlichen Sexualmoral und der Moral schlechthin die Bedingung für eine gesellschaftliche Revolution hin zum Sozialismus und zum Kommunismus. Für beide konnte nur durch die Synthese von Marx und Freud die Revolution vorangetrieben werden.

Die kommunistische Revolution setze die Priorität auf eine Revolution der Produktionsverhältnissen und auf den Aufbau eines politischen Systems, das eine ökonomische Funktionsweise ohne Privateigentum an den Produktionsmittel garantierte. Im wesentlichen geschah das durch totale Repression elementarer Rechte und durch die Aufoktroyierung einer atheistischen Weltanschauung mit den bekannten katastrophalen Ergebnissen.

Der kapitalistische Westen wurde zwar vom Kommunismus verschont, aber nicht von der Revolution der Sitten, die sich schon in den 1950er Jahre bemerkbar machte. Damals waren die Sitten für viele nur noch gesellschaftliche Konvention. Die Mentalität vieler wurde in diesen Jahren durch Hollywood auf das vorbereitet, was dann in den 1960er Jahre mit voller Wucht kam und dessen Höhepunkt die Studentenrevolten von 1968 war.

Für die zitierten Denker beider Revolutionen bestand gar kein Gegensatz zwischen der kommunistischen und der 1968er Revolution. Für sie waren beide lediglich Etappen desselben Prozesses. Die 1968er kritisierten die Kommunisten, daß sie die Revolution bloß als Emanzipation von ausbeuterischen Produktionsverhältnissen gedacht hatten, und nicht sahen, daß die gesamte Kultur ein Konstrukt zur Erhaltung der bürgerlich-kapitalistischen Herrschaftsstruktur war, und ebendiese Kultur dekonstruiert werden müsse, was sich eben dann die 68er vornahmen.

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Die Revolution der Sitten hatte viele Facetten. Die erfolgreichste war die sog. Sexuelle Revolution. Mit der Einführung der Pille und der Propaganda für die sog Freie Liebe und für die Wilden Ehen fand eine Revolution in den Mentalitäten statt, die die westliche Welt tiefgreifend verändert hat. Die Sexuelle Revolution erzeugte mehrere soziale Bewegungen mit ihren entsprechenden politischen Forderungen. Bei weitem die wichtigste war zunächst die feministische Bewegung mit der Forderung nach einer Liberalisierung der Abtreibung.

Die Kulturrevolution veränderte nicht nur das soziale Gefüge der Gesellschaft, sondern wirkte sich auch äußerst destruktiv auf das Innere des Menschen aus. Die Kulturrevolution ist nämlich in der Lage, die Menschen davon zu überzeugen, die christlichen Wurzeln auszureißen und darüber hinaus sogar davon zu überzeugen, daß jegliche innere Ordnung etwas sei, was den Menschen knechte. So ist der moderne Mensch bereit, sich den Ekstasen der Diskotheken oder der Love-Parade hinzugeben, sich stundenlang die Ausschweifungen der Talkshows anzusehen und sogar ästhetische Prinzipien über Bord zu werfen.

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Der Fall des Kommunismus im Jahr 1989 wird vor allem als Fall eines ökonomischen und politischen Systems angesehen, ohne zu berücksichtigen, daß die Folgeentwicklung der 1968er-Revolution nicht nur nicht beendet, sondern beschleunigt wurde.

Außerdem bildeten sich verdeckt kommunistische oder postkommunistische Parteien, die rasch die Agenda der 1968er in ihren Programmen inkorporierten. Ein Paradebeispiel in dieser Hinsicht ist die kommunistische Partei der DDR, die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands SED, die sich am 8./9. Dezember 1989 in „Partei des Demokratischen Sozialismus PDS“ umbenannte. Revolutionäre Bewegungen, die man im kommunistischen Block generell als „Zeichen westlicher Dekadenz“ ansah, wurden innerhalb dieser Partei gegründet, wie beispielsweise die Feministische Frauenarbeitsgemeinschaft „LISA“, die „Ökologische Plattform“ usw. Mit der Zeit kamen ähnliche Gruppierungen hinzu.


Generell ist diese Partei zum Sammelbecken aller möglichen gesellschaftlichen Subgruppen geworden, von Punks bis zu unverbesserlichen Stalinisten. Was alle diese Gruppen vereint, ist eine tiefe und emotionale Abneigung des herrschenden Systems. Sie empfinden sich als die gesellschaftliche Peripherie. Sie sind eine stets protestierende soziale Gruppe von systematisch Unzufriedenen.

Die klassischen Themen der 1968er sind für die SED-Nachfolger bis heute keine Priorität, doch ihre nihilistische und rebellische Haltung gegenüber dem Zentrum der Gesellschaft macht sie für die 1968er Revolution äußerst nützlich. Sie sind ein Humus für einen gesellschaftsrevolutionären Geist, der in der verbürgerlichten und die Sorglosigkeit suchenden Grünen-Partei, die zuerst mit 68er Parolen kam, nicht mehr gedeihen kann.

Die SED-Nachfolger sind ebenso als Sammelbecken eines kämpferischen Atheismus. Die ehemalige DDR und die Tschechische Republik sind die einzigen Länder, in denen die Religion nach dem Fall der Mauer weiter an Resonanz verloren hat. In allen anderen Ostblockländern erfuhr die Religion zunächst eine Renaissance. In den letzten Jahren wurden die Zahlen der sonntäglichen Kirchenbesucher, der Taufen, der Eheschließungen und sonstige Zahlen des kirchlichen Lebens stets nach unten korrigiert. Diese Entwicklung gilt für das gesamte deutsche Gebiet, doch in der ehemaligen DDR ist sie dramatisch. Das sozialistische Erziehungssystem der DDR, das ganz dem Atheismus diente, war durchaus effizient und wirkt bis heute. Atheisten wählen bevorzugt Die Linke, während Katholiken und Evangelische eher CDU bzw. SPD wählen.

Mit der Bundestagswahl im Jahr 1998 übernahm die Generation der 1968er die Macht. Die Rot-Grüne Koalition unter Gerhard Schröder und Joschka Fischer wollte ein Programm der gesellschaftlichen Revolution in Gang setzen, die Deutschland komplett verändern sollte. Nachdem diese beiden Parteien nicht mehr im Bund an der Macht sind, sind die Annäherungsversuche zu den SED-Nachfolgern immer stärker, die innerparteiliche Opposition gegen eine Verbrüderung mit den Kommunisten immer kleiner.

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Wichtiger noch als die politischen Projekte ist möglicherweise der Einfluß der Denker der 1968er-Revolution in der Erziehung der Kinder, die insbesondere in der sog. „Dekonstruktiven Pädagogik“ vorzufinden ist. Diese unterwirft sämtliche grundlegende Denkmodelle der Moderne, wie Vernunft, Subjekt, Identität, Einheit, Emanzipation oder Fortschritt einer radikalen Kritik, bis hin zur Verneinung der Existenz dieser Begriffe. In diesem Sinne verfolgen die Vertreter dieser Pädagogik dieselben Ziele wie die 68er Revolutionäre. Sie stellen also die Grundlagen der westlichen Zivilisation in Frage und streben eine totale Loslösung des Menschen von sämtlichen Denkkategorien, Prinzipien und Werten, die auf die christlich-abendländische Zivilisation zurückzuführen sind, an.

Aufgrund der öffentlichen Diskussion um die Homo-„Ehe“, Gender Mainstreaming und Antidiskriminierung lag das Interesse der Dekonstruktivisten vor allem in der Zerstörung des Begriffs „Identität“, vor allem der Geschlechtsidentität. Denn für die Kulturevolutionäre ist das Geschlecht vor allem von der Gesellschaft vorgegeben und nicht von der Biologie. So schreibt Helga Bilden in dem Sammelband „Dekonstruktive Pädagogik“ aus dem Jahre 2001 im Aufsatz „Die Grenzen von Geschlecht überschreiten“: „Der Identitäts-Begriff bezeichnet die Nahtstelle zwischen Individuum und Gesellschaft. Identität meint die Beziehung des einzelnen zu sich selbst auf dem Hintergrund seiner Position im sozialen Gefüge. ... Identitäten, auch Geschlechtsidentitäten, sind nicht klar, eindeutig und selbstverständlich, wie sie es früher zu sein schienen. Sie müssen neu gedacht werden: kontingent, fluid, nur zeitweise fixiert“ (S. 137). Sie führt weiter aus, daß das Kind zunächst kein Bewußtsein über sein Geschlecht hat, aber früher oder später ihm dieses von der Gesellschaft aufoktroyiert wird, was wiederum zu einer Geschlechtspolarisierung und zu einer Hierarchisierung führt, die überwunden werden müssen.


Eine weitere Exponentin der "Dekonstruktiven Pädagogik" ist Jutta Hartmann, die in ihrem Buch "Vielfältige Lebensweise - Dynamisierungen in der Triade Geschlecht - Sexualität - Lebensform/kritisch-dekonstruktive Perspektiven für die Pädagogik" schreibt: "Geschlecht, Sexualität und Lebensform als gänzlich gesellschaftlich hervorgebracht begreifend, arbeite ich eine Vorstellung von Handlungsfähigkeit heraus, die die Möglichkeit bewußter Aktivität gegenüber Normen und ein Neuentwerfen von Existenz- und Lebensweisen beinhaltet." Das alles soll aber keine reine Theorie bleiben, sondern in der Erziehung der Schüler angewandt werden: „Ein zentrales Ziel meiner Arbeit ist es, den Raum in Pädagogik und Erziehungswissenschaften dafür zu vergrößern, eine Vielfalt an Existenz- und Lebensweisen gleichwertig aufzugreifen und zu ermöglichen. Eine dafür liegt darin, Konstruktionsmechanismen, die diesen Raum erweitern oder einschränken, zu erkennen.“

In den letzten zwei Jahren ist eine Facette der Kulturrevolution immer deutlicher zu beobachten: Ihr militanter Atheismus und ihre militante Abneigung des Christentums

Die antichristliche Medienhetze erreichte im Jahr 2009 eine schon lange nicht mehr gesehene Intensität. Insbesondere die von allen Seiten auf Papst Benedikt XVI. einbrechenden Attacken hatten eine Schärfe, die im scharfen Kontrast zu der Medienberichterstattung ummittelbar nach seiner Wahl zum Papst im Jahr 2005 stand. Doch die Angriffe trafen nicht nur den Papst aus Deutschland. Auch viele christliche Positionen zu politischen Themen werden mit einer Gehässigkeit angegriffen, die auf jegliche Fairneß verzichtet. Es ist schon bemerkenswert, wie in einer Zeit, in der die Anti-Diskriminierung Mode geworden ist, so viel Haß gegen das Christliche entstehen kann. So gut wie alle Demonstrationen von Lebensrechtlern werden heutzutage von Linksradikalen gestört. Die Homo-Lobby etikettiert die christlichen Positionen zu Ehe, Familie und Sexualität schlicht als „homophob“ und stellt sie auf eine Stufe mit Rassismus und Antisemitismus. Konservative Christen werden in vielen Medien stets als „Fundamentalisten“ bezeichnet und deren politische Positionen zu Abtreibung, Homo-Ehe, Sexualität als gefährlich, radikal, extremistisch und diskriminierend bezeichnet. Die Religionsfeindlichkeit wird auch in Form von immer aggressiveren Blasphemien ausgedrückt, die offensichtlich das Ziel haben, die Christen zu kränken.

Es ist anzunehmen, daß diese Angriffe fortdauern und weiterhin versucht werden wird, das Christentum aus der Öffentlichkeit und aus der Politik zu verdrängen.

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