Freitag, 23. Oktober 2009

Dokumentation: Christine Haderthauer, Bayerische Staatsministerin für Familie, zur finanziellen Entlastung von Familien

Junge Eltern nicht einseitig lenken

Wieweit sich die neue Regierung einem bürgerlichen Politikansatz verpflichtet fühlt, wird besonders in der familienpolitischen Ausrichtung erkennbar werden. Mit der Entscheidung für oder gegen das Betreuungsgeld wird eine elementare gesellschaftspolitische Weiche gestellt. Da geht es um weit mehr als um 150 Euro im Monat. Es geht um Grundsätze und Werte. Das Betreuungsgeld ist der Kontrapunkt bürgerlicher Politik zum Rechtsanspruch auf einen Krippenplatz für Kleinkinder vom ersten Geburtstag an. Ein Rechtsanspruch verändert persönliche Einstellungen, schafft eine gesellschaftliche Norm, die irgendwann zur Normalität wird. So, wie es mit dem Kindergartenbesuch vom dritten Lebensjahr an geschieht. Wurden früher Kleinkinder je nach familiärer Situation in unterschiedlichem Alter im Kindergarten angemeldet, so trifft heute, nach Einführung des Rechtsanspruches, junge Eltern, die ihr Kind mit drei Jahren noch nicht in den Kindergarten schicken, bereits ein erheblicher Druck, dies zu rechtfertigen.

Der Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz ab dem ersten Geburtstag wird einen ähnlichen Druck erzeugen. Politik macht damit eine klare Ansage: Kleinkinder sollen ab dem Alter von einem Jahr grundsätzlich und sozusagen regelhaft in Krippen betreut werden. Diese Beeinflussung junger Eltern in ihrer Lebensgestaltung wirkt noch unausweichlicher, wenn es keine flankierende Maßnahme gibt, die als Balance auch dem anderen Weg, nämlich der häuslichen Betreuung des Kleinkindes, gesellschaftliche Anerkennung vermittelt. Der Wunsch das Kind in dessen ersten drei Jahren selbst zu betreuen, wird damit im entwertet, wird irgendwann gerechtfertigt werden müssen. Die Politik entzieht jungen Eltern nonverbal, allein durch diese Weichenstellung und auf kaltem Wege das Vertrauen und die gesellschaftliche Legitimation für die Gestaltung ihres Familienlebens ohne Krippe. Die Folge wird sein, dass junge Eltern das Gefühl für ihre Bedeutung nach und nach verlieren, sich auch selber immer weniger zutrauen und sich aus der Elternaufgabe zunehmend verabschieden. Verlierer werden die Kinder sein.

Dass schon heute eine wachsende Anzahl von Eltern verunsichert und überfordert ist, ist keine Bestätigung der Entwertung des elterlichen Lebensentwurfs sondern vielmehr ein Warnsignal, das uns nachdenklich werden lassen sollte. Und dass es Familien gibt, die Hilfe und Unterstützung brauchen, ist kein Argument gegen das Betreuungsgeld, sondern schlichtweg eine zeitlose Realität. Zielgenaue und besser vernetzte Hilfe für belastete Eltern und Problemfamilien mit Programmen wie "Guter Start ins Kinderleben" oder koordinierenden Kinderschutzstellen haben wir engagiert angepackt und müssen wir ständig voranbringen.

Bürgerliche Politik darf ihr Handeln aber nicht allein von Problemfällen ableiten, sondern sollte Eigenverantwortung voraussetzen, sollte getragen sein von Zutrauen und Vertrauen in die Bürger und damit in junge Eltern. Daher kann aus einem bürgerlichen Politikverständnis heraus für die einseitige staatliche Lenkung junger Eltern bei der Frage der Kleinkindbetreuung keine Rechtfertigung geben. Auch das Kindeswohl rechtfertigt eine solche Weichenstellung nicht. Ein-. oder Zweijährige als isolierte Bildungssubjekte anzusehen, die losgelöst von elterlichen Einflüssen von den Bildungsimpulsen in Betreuungseinrichtungen Nutzen ziehen, offenbart eine reichlich naive und realitätsferne Sicht. Gerade im Kleinkindalter sind Vater und Mutter der zentrale Schlüssel zum Kind. An ihnen wird es liegen, ob ihr Kind sichere Bindungen aufbauen kann und soziale Kernkompetenzen erwirbt, die Grundvoraussetzungen für Bildungschancen sind. Wenn wir psychisch und seelisch stabile Kinder wollen, müssen wir diejenigen stärken, die unersetzlich für ebendieses Kind sind, die die entscheidende Schlüsselposition für seine Entwicklung innehaben, besonders im Kleinkindalter.

Familienpolitik der Zukunft muss daher lauten: "Eltern stärken, Eltern ertüchtigen!" und nicht: "Kinder so schnell wie möglich in staatliche Erziehung überführen." Wenn man ein Kind danach fragt, bestätigt es die zentrale Erkenntnis, die in den Köpfen zu vieler Erwachsener leider kaum mehr präsent zu sein scheint: "Mutter und Vater sind unersetzbar und nicht austauschbar!"

Wenn elterliche Zuwendung, Liebe, Führung und Wertevermittlung in unserer Gesellschaft nicht mehr gefragt ist, dann wird sie auch nicht mehr stattfinden. Werden wir dann noch Kinder haben, die sich um ihrer selbst willen angenommen, geliebt, verankert und geborgen fühlen können und damit neugierig, leistungsfreudig, stark und motiviert in die Zukunft schauen können? Was sind uns unsere Kinder wert? Das kann man auch daran ablesen, was uns die Lebensplanung von Eltern wert ist, die ihren Kindern ihre persönliche Bedeutung einräumen. Das Betreuungsgeld ist ein unentbehrliches Signal für die Wertschätzung der Elternverantwortung. Das stelle ich mir unter bürgerlicher Politik vor.

Text erschienen in der FAZ vom 14.10.2009 in der Rubrik: "Fremde Federn"

Quelle: Bayerisches Staatsministerium für
Arbeit und Sozialordnung, Familie und Frauen