Mittwoch, 22. Oktober 2008

Fragen an Dr. Gabriele Eckermann, Vorsitzende des Vereins Schulunterricht zu Hause

1. Vor kurzem haben Sie, Frau Gabriele Eckermann, einen offenen Brief an das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe veröffentlich, in dem Sie die Nichtannahme einer Klage von Eltern, die ihr Erziehungsrecht einforderten, kritisierten. Worum ging es konkret bei der Klage dieser Eltern?

Die Eltern wurden strafrechtlich verfolgt, wegen Verletzung der Schulpflicht. Sie hatten ihre drei Töchter aus der staatlichen Schule genommen und unterrichteten sie zu Hause. In der ersten Instanz wurden sie freigesprochen. Das Gericht urteilte, dass Eltern nicht gegen ihr Gewissen gezwungen werden können, ihre Kinder in die Schule zu schicken, deren Unterricht ihre Glaubens- und Gewissensfreiheit (Art 4 I GG) verletze. Auf die Berufung der Staatsanwaltschaft wurden die Eltern in der 2. Instanz mit der Begründung verurteilt, die Verletzung ihres Gewissens hätten sie hinzunehmen. Die Revision der Eltern blieb ohne Erfolg.

Die Eltern hatten dann das Verfassungsgericht angerufen zum Schutz ihres elterlichen Erziehungsrechtes gegen die ideologischen Eingriffe durch die staatliche Erziehung.

Diese Verletzung machten sie insbesondere an der staatlichen, fächerübergreifenden Sexualerziehung fest. Diese sei völlig scham- und ethiklos. Sie beruhe auf der Ideologie der Emanzipation, die sie nicht teilen und für falsch und schädlich halten. Diese ideologische Erziehung steht ihrer christlichen diametral entgegen. Die Eltern hatten zum Beweis der Verletzung ihres Grundrechts Unterrichtsmaterialien vorgelegt, die die emanzipatorische Ausrichtung dieses fächerübergreifenden Unterrichts dokumentieren. Die Kinder wurden damit angeleitet, sich sexuell freizügig zu betätigen, wie sie gerade wollten: Sie könnten sich selbst befriedigen, sich homo- oder bisexuell betätigen, - keiner habe ihnen da dreinzureden. Es wurden ihnen hierin alle Verhütungsmittel aufgezählt; die Abtreibung wurde als adäquates Mittel dargestellt, falls es doch zu einer Schwangerschaft käme.

Ihr Elternrecht sahen sie auch dadurch verletzt, dass die staatliche Schule die Schöpfungstheorie unterdrückte und ignorierte, und dass die Schule behauptete - der Wahrheit zuwider -, die Evolutionstheorie sei wissenschaftlich bewiesen. Damit zersetzte diese Unterrichtung ihre christliche Glaubenserziehung und machte Gott zu einem Lügner.

Einen rechtswidrigen Eingriff in ihr Erziehungsrecht, dem das Bundesverfassungsgericht wehren sollte, sahen die Eltern auch darin, dass ihre Kinder hypnotischen und buddhistischen Praktiken in der Schule aus-gesetzt waren. Das Landgericht bestätigte diese Praxis der Schulen "zur mentalen Konzentrierung des Schülers" und urteilte, dies müssten die Eltern eben hinnehmen.

Mit der Verfassungsbeschwerde wandten sich die Eltern auch dagegen, dass die staatliche Schule - ganz im Sinne der Emanzipation - sie verächtlich machte, die Kinder zum Ungehorsam gegen sie verleitete und durch diese Unterrichtsinhalte in die christliche Familiensphäre und in die Glaubenserziehung der Beschwerdeführer zersetzend eingriff.

2. Inwiefern wird das Erziehungsrecht der Eltern durch das Grundgesetz geschützt?

Das Grundgesetz garantiert den Eltern das Recht, ihre Kinder zu erziehen und zu pflegen, als natürliches Recht. Dieses ist nicht vom Staat verliehen, sondern der Staat garantiert lediglich dieses sich aus der menschlichen Natur ergebende Recht im Grundgesetz. Als natürliches Recht ist es für alle Zeiten gültig und von Raum und Zeit unabhängig. Es ist unüber-tragbar und grundsätzlich unentziehbar. Es steht den Eltern als absolutes Recht zu, das sie gegenüber jedermann verteidigen können. In Art. 6 Abs. 2 Satz 1 heißt es:

"Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht."

Nur in Ausnahmefällen müssen die Eltern Eingriffe in dieses Recht gestatten, nämlich dann, wenn durch das Verhalten der Eltern das Wohl des Kindes gefährdet wird (§ 1666 BGB und Art 6 II Satz 2 GG).

Dieses Elternrecht beinhaltet auch das Recht, die Kinder in religiöser und weltanschaulicher Hinsicht zu erziehen. Das Bundesverfassungsgericht hat dazu ausgeführt (Bundesverfassungsgerichts-Entscheidung (BVerfGE) 93, S. 1/17):

"Im Verein mit Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG, der den Eltern die Pflege und Erziehung ihrer Kinder als natürliches Recht garantiert, umfasst Art. 4 Abs. 1 GG auch das Recht zur Kindererziehung in religiöser und welt-anschaulicher Hinsicht. Es ist Sache der Eltern, ihren Kindern diejenigen Überzeugungen in Glaubens- und Weltanschauungsfragen zu vermitteln, die sie für richtig halten. Dem entspricht das Recht, sie von Glaubensüberzeugungen fernzuhalten, die den Eltern falsch und schädlich erscheinen."

Demgemäß hat das Bundesverfassungsgericht antroposophischen Eltern Recht gegeben, die sich in ihrer Glaubenserziehung durch ein Kreuz im Klassenzimmer ihrer Kinder verletzt sahen. Das Kreuz musste weichen, - andernfalls hätte den Kindern zum Schutz der elterlichen Glaubenserziehung Befreiung vom Schulbesuch erteilt werden müssen.

Die Verfassungsbeschwerde im oben genannten Fall hätte nach eben diesem Recht angenommen werden und zugunsten der Eltern entschieden werden müssen. Denn der staatliche Sexualkundeunterricht hat schwer-wiegender in das elterliche Erziehungsrecht eingegriffen, als es ein stummes Kreuz an einer Klassenzimmerwand tun kann.

3. Wird in der schulischen Praxis dieses Erziehungsrecht der Eltern respektiert?

Leider nein. Es besteht generell eine Tendenz, das elterliche Erziehungs-recht in der staatlichen Schule zugunsten des Staates einzuschränken. Die Schulbehörden (der Staat) streben wohl eine lokale Teilung des staatlichen und des elterlichen Erziehungsrechtes an. In der Schule soll ausschließlich der Staat das Sagen haben - und zu Hause die Eltern. Mit Kinderkrippen und Kindergarten, Früheinschulung und Ganztagsschule verlieren die Eltern ihren Einfluss auf ihre Kinder. Das natürliche Recht der Eltern, das ihnen zuvörderst zusteht, wird durch die Staatserziehung ersetzt.

4. Was war die Haltung des Bundesverfassungsgerichtes hinsichtlich des Erziehungsrechts der Eltern in den letzten Jahren?

Seit dem oben erwähnten sogen. Kreuzbeschluss (1995) werden Verfassungsbeschwerden von Eltern, die sich auf den Kreuzbeschluss berufen, nicht mehr zur Entscheidung angenommen.

Mit dem Nichtannahmebeschluss des Bundesverfassungsgerichtes aus dem Jahr 2003 (1BvR 436/03) in einer ähnlichen Schulpflichtsache hat das Bundesverfassungsgericht m.E. sein rechtsstaatliches Wächteramt über die Beachtung der Grundrechte verlassen und sich zum Anwalt der "Allgemeinheit" gemacht, indem es die Verfassungsbeschwerde eines christlichen Ehepaares und ihrer zu Hause unterrichteten zwei Kinder, die sie zu Hause unterrichteten, mit folgender Begründung nicht zur Entscheidung annahm:
„Die Allgemeinheit hat ein berechtigtes Interesse daran, der Entstehung von religiös oder weltanschaulich motivierten „Parallelgesellschaften“ entgegenzuwirken...“

Damit hat das höchste deutsche Gericht die „Allgemeinheit“ zum Maßstab seiner Entscheidungen gemacht - und nicht mehr geltendes Recht. Den Begriff "Parallelgesellschaft" - dem geltenden Recht unbekannt - hat das Verfassungsgericht undefiniert gelassen.

5. Was können Eltern, die nicht wollen, dass ihre Kinder am Sexualunterricht teilnehmen, tun, um nicht in die Illegalität zu kommen?

Es gibt Bundesländer - z.B. Baden-Württemberg -, die aus Glaubens- und Gewissensgründen vom Sexualkundeunterricht befreien. Diese Möglichkeit sollten die Eltern in Anspruch nehmen und in anderen Bundesländern auf diese Beachtung des Elternrechtes in Baden-Württemberg hinweisen, um in ihrem Bundesland einen ähnlichen Status zu erreichen.

Wird keine Befreiung erteilt, so bleibt den Eltern nur, auf der Einhaltung der vom Bundesverfassungsgericht festgelegten Zulassungsvoraussetzungen für den staatlichen Sexualkunde-Unterricht zu achten (BVerfGE 47,46ff), ohne deren Einhaltung der Sexualkundeunterricht verfassungswidrig ist. Zu diesen Voraussetzungen gehört:

- eine ausführliche Elterninformation - über Inhalt, Methode und Medien -, die normalerweise an einem Elternabend (Klassenpflegschaft) erfolgen sollte. Die Eltern sollten dort ganz klar sagen, was sie nicht wollen, und aus welchem Grund. Sie sollen eine Konfliktlösung anstreben.
- dass die Schule „auf das natürliche Elternrecht und auf deren religiöse oder weltanschauliche Überzeugungen“ Rücksicht zu nehmen hat. Wird die weltanschauliche oder religiöse Haltung der Eltern nicht berücksichtigt, sollten der Rektor, die Schulbehörde und ggf. das Kultusministerium und gegebenenfalls die Gerichte eingeschaltet werden. Manche Eltern haben lieber ein Bußgeld gezahlt, als ihre Kinder an einem Sexualkundeunterricht teilnehmen zu lassen, den sie aufgrund ihrer religiösen bzw. weltanschaulichen Überzeugung ablehnen mussten.
- dass diese Elterninformation rechtzeitig erfolgt, damit die Eltern genügend Zeit haben, ihrem Kind zuvor die eigene Anschauung zu den schulischen Sexualthemen zu vermitteln, um dem zuvörderst ihnen zustehenden Erziehungsrecht gerecht zu werden.
- auf das Persönlichkeitsrecht des Kindes (vonseiten der Schule) Rücksicht zu nehmen; die Sexualerziehung kann daher erst erfolgen, nachdem der Lehrer sich gründlich über die psychologische Situation und den Reifegrad der Kinder informiert hat.
- dass die Schule insbesondere jeden Versuch einer Indoktrinierung der Kinder unterlässt.
In der schulischen Alltagspraxis werden diese Voraussetzungen für die Abhaltung des Sexualkundeunterrichtes vielfach mißachtet.

6. Deutschland ist eines der wenigen Länder auf der Welt, die Erziehung zu Hause komplett verbieten. Wie kam es dazu?

Die Hausunterrichtung ist in Deutschland nicht gesetzlich verboten, sondern wird lediglich nicht gewährt, was einem Verbot gleichkommt. Es ist also zutreffend, dass Deutschland eines der wenigen Länder der Welt ist, die Hausunterrichtung nicht zulassen.

Zu dieser verbotsähnlichen Situation kam es durch die Rechtsprechung. Diese hat in den letzten Jahren dazu geführt, dass die in den einzelnen Schulgesetzen der Bundesländer enthaltenen Ausnahmeregelungen - entgegen ihrem Wortlaut - verengend ausgelegt wurden, um z.B. aus Gewissensgründen keine Schulbesuchsbefreiung mehr erteilen zu müssen. Der Ausnahmetatbestand im Niedersächsischen Schulgesetz (§ 63, Abs. 5) lautet z.B.:
"Schulpflichtigen der ersten sechs Schuljahrgänge darf Privatunterricht an Stelle des Schulbesuchs nur ausnahmsweise gestattet werden."

7. Wie sieht es bei unseren europäischen Nachbarn aus?

Alle europäischen Nachbarn lassen Hausunterricht unter unterschiedlichen Voraussetzungen zu. In Österreich genügt es, dass die Eltern anzeigen, dass ihr Kind zu Hause unterrichtet wird. Die Eltern bekommen die Schulbücher, und ihr Kind wird zum Schuljahresabschluss geprüft. Hat es die entsprechenden Leistungen, darf es weiter zu Hause unterrichtet werden; anderenfalls muss es in die staatliche Schule.

Irland hat Hausunterricht in Art. 42 seiner Verfassung so geregelt:

"Der Staat erkennt an, dass die Erziehung des Kindes in erster Linie und natürlicherweise der Familie obliegt; er verbürgt sich, das unveräußerliche Recht und die unveräußerliche Pflicht der Eltern zu achten, je nach ihren Mitteln für die religiöse, moralische, geistige, körperliche und soziale Erziehung ihrer Kinder Sorge zu tragen.

Es steht den Eltern frei, für diese Erziehung in ihrer Privatwohnung, in Privatschulen oder in staatlich anerkannten oder vom Staat eingerichteten Schulen zu sorgen.

Der Staat darf die Eltern nicht dazu verpflichten, ihre Kinder unter Verletzung ihres Gewissens und ihrer rechtmäßigen Vorliebe in staatliche Schulen oder irgendeinen besonderen, vom Staate vorgeschriebenen Schultypus zu schicken."

8. Kann dieses Totalverbot mit dem Grundgesetz gerechtfertigt werden?

Nein. Das Grundgesetz kennt kein Verbot der Hausunterrichtung.

Die Hausunterrichtung muss zur Wahrung des Grundgesetzes zugelassen werden, wenn durch den Schulbesuch Grundrechte verletzt werden.

9. Welche Perspektiven gibt es zur Zeit in dieser Frage?

Es haben sich positive Ansätze gezeigt, die zu einem Umdenken in der deutschen Hausschulpolitik führen könnten.

So hat z.B. der UN-Sonderbeauftragte von der Sektion Menschenrechte, Prof. Dr. Vernor Munoz, in seinem Gutachten zur Verwirklichung des Rechts auf Bildung in Deutschland vom 09.03.2007 die Regierung dazu aufgefordert, die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um sicher zu stellen, dass die Unterrichtsform der elterlichen Unterrichtung zu Hause (Homeschooling) gebührend staatlich geregelt und damit das Recht der Eltern gewährleistet wird, diese Unterrichtsform, wenn erforderlich und angemessen, durchzuführen und damit dem Kindeswohl zu dienen.

Der deutsche Erziehungswissenschaftler, Prof. Volker Ladenthin, Bonn, fordert die Legalisierung des Hausunterrichtes und nennt die Kriminalisierung der Eltern, die Hausunterrichtung durchführen, einen Skandal.

Wird Deutschland weiterhin die Schulpflicht wie bisher durchsetzen wollen, wird sich der Exodus von bildungsbewussten und christlichen Familien aus Deutschland fortsetzen.